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Blumen für den Führer

Titel: Blumen für den Führer
Autoren: J Seidel
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entweichen konnten.
    Man hörte Lachen, es brandete auf und verebbte wieder. Reni ging ein paar Schritte näher heran. Sie wünschte, dass der Vater ihre Not bemerkte, dass er sie ansah und verstand, dass sie Fragen an ihn hatte, dass sie verwirrt war und nicht wusste, was sie über all das denken sollte. Sie fühlte sich von ihm alleingelassen, ja sogar betrogen, wenn sie ehrlich war.
    Lydia kam auf sie zu. Die ältere Freundin hatte offenbar gesehen, dass etwas vorgefallen war.
    »Was ist mit dir?«

    »Ich habe Angst.«
    »Das habe ich mir gedacht. Das musst du aber nicht.«
    »Ihr seid nicht ehrlich«, sagte Reni und musste an sich halten. »Es gibt etwas, von dem ihr mir nichts sagen wollt, Sie und Papa. Ich glaube, weil man es nicht sagen kann.«
    »Was soll das sein?«
    »Ich weiß es nicht. Es macht mir eben Angst.«
    »Das bildest du dir ein.«
    »Es hat mit diesem Mann zu tun. Herrn Schaub.« Sie zögerte. Dann fügte sie hinzu: »Von ihm geht etwas aus, er hat so eine Macht …«
    »Ich sagte doch«, versetzte Lydia, »er ist der Adjutant des Führers, Reni. Der oberste, verstehst du?«
    »Nein.«
    »Also bitte, Reni, mach dich nicht simpler, als du bist!« Lydia fasste ihre Schulter. »Ich möchte, dass du mich ansiehst, wenn ich mit dir rede …« Sie wurde grob, der Griff tat weh. Sie sagte: »Das hier ist kein Kinderspiel. Mag sein, dass du zum ersten Mal begreifst, wie ernst das alles ist. Vielleicht ist es an der Zeit, dass du die Wahrheit siehst.«
    Reni versuchte, sich von ihr zu lösen. Aber Lydia hielt sie fest.
    »Was für eine Wahrheit denn?«, rief Reni viel zu laut.
    Die Leute schauten her. Lydia zog sie in das Nebenzimmer. »Es tut uns beiden leid, deinem Vater und mir genauso. Aber wir können es nicht ändern.«
    »Dass ich belogen werde?«
    »Wir lügen nicht. Es ist zu deinem Besten.«
    »Ach!«
    Reni war verzweifelt. Sie spähte in den Saal zurück. Der Vater war jetzt aufmerksam geworden, er löste sich aus seiner
Gruppe und kam her. Als er sie aus der Nähe sah, sagte er: »Du weinst ja, Kind.«
    Sie hatte sich von Lydias Händen freigemacht. Ihre Augen fingen an zu brennen. Der Vater fragte leise, was um Himmels willen vorgefallen sei.
    »Sie ist enttäuscht«, erklärte Lydia – jetzt wieder freundlicher.
    »Wovon? Bist du nicht glücklich?« Er sah Reni forschend an.
    Sie schüttelte den Kopf und sagte: »Ich habe Angst vor diesem Mann, vor Julius Schaub. Er sieht mich an, als würden wir uns kennen, als wäre ich mit etwas einverstanden, was er mir früher oder später sagen wird.«
    Der Vater atmete tief ein. Dann sagte er leise: »Reni, Kind … Renata, Liebes, ich …« Er redete, sie sah, wie seine Lippen sich bewegten. Aber Reni hörte nichts. Seine Worte verschwanden im Stimmenlärm, der plötzlich aus dem Saal herüberklang, ein breites Raunen, in das sich laute Rufe mischten.
    Lydia war bleich geworden und wandte sich zur Zwischentür. »Der Führer kommt …!«
    Reni folgte ihr zum Saal. Hinter sich hörte sie den Vater: »Nicht, Reni, bitte nicht!« Als ahnte er, was jetzt geschehen würde.
    Reni fasste den Entschluss, weil sie verzweifelt war. Sie drängelte sich vor, schob ein paar Leute aus dem Weg und stellte sich ins Offene, dorthin, wo sie der Führer, wenn er aus dem Flur trat, sofort sehen musste. Er wird mich erkennen, freundlich grüßen und vielleicht verwundert sein. Er wird fragen, ob ich etwas auf dem Herzen habe. Dann werde ich ihm die Frage stellen, die Frage, was Julius Schaub mit mir zu
schaffen hat. Was will dieser ältere Mann von mir? Was bedeutete hier in diesem Salon das Wort »verlobt«? Und dann der junge Storck! Wie er ihn angefahren hat. Benimmt man sich auf diese Weise? Danach wird sie fragen, sobald der Führer durch die Flügeltür hereinkommt. Jetzt, jeden Augenblick …
    »Nein, bitte, Reni, tu es nicht!«
    Der Vater stand dicht hinter ihr. Er wusste also, was sie dachte. Er würde ihr nicht helfen, er hatte nämlich Angst, sie spürte es. Es war ihm anzusehen, er schwitzte stark und roch ein wenig.
    »Die Leibstandarte* … das ist er «, erklärte Lydia leise hinter ihr. »Jesus, gib mir Kraft!«
    Zwei bewaffnete Soldaten traten durch die Tür und postierten sich. Vier weitere folgten, sodass ein Gang entstand, durch den der Führer schreiten konnte. Einen der Männer erkannte Reni aus dem Aufzug wieder. Sie konzentrierte sich und wollte freundlich blicken – nicht mit Augen voller Angst, wie ein paar Damen, denen die Erregung ins
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