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Blumen für den Führer

Titel: Blumen für den Führer
Autoren: J Seidel
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gehen, selbst wenn er an Bord andere Pflichten hatte. Zwiebeln schälen, Fische ausnehmen, das, was niemand gerne tut. Wer wollte wissen, ob nicht doch einmal ein Mangel auftrat, und wenn er, Jockel, dann dafür bekannt war, furchtlos anzupacken, war das ein Vorteil, von dem vielleicht auch seine Freunde profitierten. Max, der etwas jünger war als Siggi und der Bruder, schien ihm ein netter Kerl zu sein, und in der Fremde kann man einen Freund gebrauchen.
    Tom schaltete das Licht aus und wünschte eine gute Nacht. Im Einschlafen stellte Jockel sich das Wasser vor, das sich nur eine Handbreit von ihm entfernt auf der anderen Seite der Kojenwand befand. Dann dachte er an Reni, die er in ihrer neuen Welt zurückgelassen hatte. Er gönnte ihr das große Glück von ganzem Herzen.
     
    Max weckte ihn, als er das Licht anknipste. Die Luft in der Kabine war stickig und warm, vielleicht auch, weil sich der Maschinenraum gleich nebenan befinden musste, dem Bollern und Stampfen nach zu urteilen.
    Jockel zog sich an, ging auf den Gang hinaus und fand das Waschbecken mit der Brause. Auch hier war das Licht nur trüb, der Boden war noch nass vom Vorgänger. Das Stoßen der Maschine drang bis in Jockels Beine. Das Schiff bewegte sich, es rollte träge hin und her.
    Der Steuermann verteilte ein paar Arbeiten. Sein linker Fuß tat weh, er humpelte und fluchte. Als Jockel nach dem Frühstück fragte, wurde er gleich angeraunzt. Helmuth legte ihm die Hand auf seine Schulter. »Komm mit zur Treppe, und keine Widerrede, kleiner Bruder!«

    Jockel folgte ihm, hinter ihm ging Max, und dann kam Siggi.
    Als sie die schmalen, steilen Stufen nahmen – Eisen links und rechts, es dröhnte und summte überall -, sah Jockel Sonnenlicht. Es fiel grellgelb und schräg durch ein tellerrundes Fenster und auf die Treppenwand und malte ein Oval. Oben schaute Jockel durch das Fensterchen und hätte beinah einen Sprung getan, er hätte sich am liebsten irgendwo versteckt. Nur einen Moment. Er war nah daran zu heulen, weil das, was er dort sah, so unerwartet schön und überraschend hell und freundlich war. Er dachte: Wie wenn man aus der Hölle ins Himmelreich aufsteigen darf.
    Die Tür ließ sich nach außen öffnen. Sie standen auf dem Hauptdeck, vor ihnen lag das Vorderschiff, die Luft war mild und klar. Jockel hatte noch nie das offene Meer gesehen, höchstens in der Illustrierten. Das sonderbare dunkle Blau, mit so viel Grau und Grün versetzt. Er schaute auf die überscharfe Linie. Der morgenrote Himmel glitt in die See aus glatt geschliffenem Stahl. Das Bild war übervoll mit Hoffnung, es war voller Zukunft, und Jockel fühlte nach all dem überwundenen Schweren plötzlich eine tiefe, süße Zuversicht.
    Er ging in die Kombüse. Der Koch war anders als der raue Steuermann. Er schwieg die meiste Zeit und nickte, wenn Jockel ihm ohne Fragen bei der Arbeit half, selbst wenn das eine oder andere danebenging. Jockel schnitt das Frühstücksbrot für alle, füllte Honig um und kochte Eier hart. Er liebte ihre Form und Oberfläche. Als Kind hatte er sich oft im Stall versteckt und den Legehennen zugesehen. Es war lustig, wie sie nach ihm schauten: Der Kopf blieb starr am selben Fleck, während der Körper sich bewegte. Dann, mit einem Ruck, bewegte sich der Kopf nach vorne und erstarrte wieder mitten in der Luft, als hätte man ihn festgeklebt.

    »Du wirst bestimmt kein Seemann«, sagte der Koch mit einem Mal.
    Jockel wusste gar nicht, was er darauf erwidern sollte.
    »So, wie du dich bewegst. Ich glaub’s nicht richtig …«
    Jockel schüttelte den Kopf.
    Er machte weiter, aber die Bemerkung ging ihm nicht mehr aus dem Sinn. Er nahm einen Topf Kartoffeln aus der Ecke. Der Koch half ihm dabei und rief plötzlich: »Da ist er ja, der schöne Löffel!«
    Eingeklemmt zwischen einer Flaschenkiste und einem offenen Schrank mit Säcken voller Reis, lag ein Stück Holz. Der Koch bückte sich und hob es auf. Es war ein Kochlöffel aus dunklem Edelholz. Es sei ein ganz besonderer Löffel, den er vor ein paar Wochen verloren habe, erzählte der Koch. Er habe ihn von einem wunderschönen Mädchen aus Madrid bekommen. »Zum Abschied, als Geschenk. Schau hier, die beiden Buchstaben und die Blume …«
    In dem Moment fiel Jockel Reni ein. Er hatte auch im Hunger nur an sie gedacht; es hatte ihm geholfen, stark zu sein. Er sah sie vor sich: ihren Blick, die schönen Wangen, ihr Kinn, den Zaubermund, das goldene Haar. Nie wieder würde er ein Mädchen treffen, das
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