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Blüten, Koks und blaues Blut

Blüten, Koks und blaues Blut

Titel: Blüten, Koks und blaues Blut
Autoren: Léo Malet
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Der
leichte Nebel, Vorbote der Wärme, der von Marseille aus die Landschaft der
Provence einhüllte, begann sich langsam aufzulösen. Welch ein Unterschied zu
dem Paris, das ich verlassen hatte: grau und trostlos mitten im Sommer, der
sich anschickte, alle herbstlichen Rekorde zu schlagen.
    ,Prima’, dachte ich, ,es wird warm.’
    Doch hatte ich diesen banalen Gedanken noch
nicht zu Ende gedacht, als das Ta-ta-ta-ta eines ganzen Chores von
Maschinenpistolen widerhallte. Ich warf meinen Koffer von mir und mich selbst
der Länge nach auf den Boden, direkt neben einen Jungen mit einem Spitzbubengesicht,
der dieselbe Taktik verfolgte. Die Kugeln pfiffen uns nur so um die Ohren. Wie
durch ein Wunder hatte sich der Platz geleert.
    „Der 14. Juli wird hier aber lange gefeiert,
was?“ bemerkte ich.
    „Wieder ‘n Coup von Chichi-Frégi’s Bande“,
erwiderte das Spitzbubengesicht.
    „Chichi-Frégi? Wer ist das denn?“
    Die Augen des Jungen leuchteten vor Bewunderung.
Mit einer Begeisterung, die seinen Akzent noch unterstrich, rief er:
    „Ein Gangster!“
    „Man kann wirklich nicht behaupten, daß das
Faulenzer sind“, sagte ich. „Fangen früh an mit der Arbeit…“
    „Der Gangsterkönig!“ fuhr der Nachwuchsganove an
meiner Seite fort, wobei er mehr seinen Gedanken als unserem Gespräch folgte. „Vor
drei Wochen haben Sie einen Kassenboten in Montpellier fertiggemacht...
Erstklassiger Coup! ... Dreihunderttausend…“
    Ich beobachtete bei ihm den gleichen verträumten
Blick wie bei Pennälern, die an die Beine von Marlene Dietrich denken.
    „...Und heute haben sie sich den Crédit du
Sud-Est vorgenommen...“
    Er wies mit dem Kinn auf die andere Seite des
Platzes, wo sich ein Bankgebäude dieses Namens erhob.
    Die Schüsse waren verhallt. Ich sprang wieder
auf die Beine.
    Auf dem Pflaster lag der Kassenbote in seinem
Blut. Nicht tot, aber auch kaum viel mehr wert. Seine Hand umklammerte einen
großkalibrigen Revolver, mit dem er sich zu verteidigen versucht hatte. Seine
Ledertasche lag zwei Meter weiter weg zwischen Scheinen und Wertpapieren.
    Mitten auf der Fahrbahn entdeckte ich noch einen
weiteren Körper, der sich nicht rührte. Es war einer der Gangster, den der
Bankangestellte erwischt hatte. Die Salven aus den Maschinenpistolen, die mich
auf Tauchstation hatten gehen lassen, waren aus dem Fluchtauto der Banditen
abgefeuert worden. Der junge Mann auf der Fahrbahn hatte leider die Abfahrt
seiner Komplizen verpaßt. Ein schwacher Trost für den Kassenboten, aber
immerhin ein Trost. Seine Kugel hatte den Nachzügler abrupt an der Flucht
gehindert.
    Da alle Gefahr vorüber schien, kamen so um die
fünfzig Schaulustige flink aus ihren Verstecken gekrochen und drängten sich um
die leblosen Körper. Und schon spuckte ein Polizeiauto einen Haufen
marineblauer Männchen aus.
    Nun war ich nicht an die Côte d’Azur gefahren,
um bei einem bewaffneten Raubüberfall den Zeugen zu spielen. Also verschwand
ich in der nächsten Straße rechts um die Ecke.
    Zweimal mußte ich die Hilfe von Passanten in
Anspruch nehmen, bis ich endlich vor dem zweitklassigen Hotel stand, dessen
Geschicke René Leclercq lenkte. Es hieß Hôtel du Cirque, ohne auch nur
das Geringste mit einem Zirkus zu tun zu haben.
    Mein ehemaliger Mitarbeiter René saß in seinem
Büro und drehte sich nachdenklich eine Zigarette. Unter Hemd und Hut bewegten
sich eiserne, leistungsfähige Muskeln. Schlank, athletisch gebaut und dazu
charmant, hätte er den Apollo oder einen jugendlichen Liebhaber abgeben können,
wenn sein Kinn nicht ständig, aber vergeblich nach einem Rasierapparat
geschrien hätte. Doch dieses Instrument der Körperpflege schien ihm unbekannt
zu sein.
    Bei meinem Anblick sprang er überrascht auf, so
daß sein Tabak auf den Boden fiel, und stieß einen Willkommensfluch aus.
    „Ja, träume ich denn?“ rief er. „Aber das ist
doch Nestor Burma!? Himmeldonnerwetter, so ‘ne Überraschung! Sie an der Côte?
Zufällig?“
    Der Süden hatte aus ihm einen redseligen
Menschen gemacht. Er wartete keine Antwort auf seine Flut von Fragen ab, packte
meine Hand und schüttelte sie, so als betätige er eine Benzinpumpe. Dabei
wanderte sein Blick von meinem Gesicht den ganzen Körper hinunter zu meinen
Schuhen und wieder hinauf zu meinem Gesicht. Dieser Musterung folgte ein
längeres Pfeifen und ein neuer Schwall von Fragen.
    „Aber... Wie sehen Sie denn aus? Haben Sie sich
rumgeprügelt?“
    „Ich bin genau in dem Augenblick über
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