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Blitz und Vulkan

Blitz und Vulkan

Titel: Blitz und Vulkan
Autoren: Walter Farley
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fertig war, ging er zu seinem Wassereimer. Er fand ihn wohlgefüllt. Er goß ihn trotzdem aus und füllte ihn frisch. Dann holte er reines Stroh und breitete es auf den Boden. Da er nun beim besten Willen nichts mehr zu tun fand, konnte er nicht verhindern, daß seine Augen zu einer anderen Box hinüberwanderten und lange daran haftenblieben. Dann ging er in die Geschirrkammer am anderen Ende des Stalles, setzte sich dort auf eine Kiste und begrub sein Gesicht in den Händen.
    „Eigentlich solltest du dich schämen“, sagte er nach einer Weile ärgerlich zu sich selber. „Bist doch erwachsen, Alec...“
    Als er den Kopf hob, betrachtete er die drei Bilder, die an der Wand vor ihm hingen. Sie zeigten Vulkan. Auf dem ersten war er noch ein Fohlen und stand auf hohen, unverhältnismäßig dünnen Beinen. Auf dem zweiten war er ein Jährling und bereits starkknochig und viel wuchtiger als sein Vater. Die dritte Aufnahme war gemacht worden, als er zwei Jahre alt war und im Siegerring stand, nachdem er im letzten Herbst das Hopeful-Rennen gewonnen hatte. Es war der Beginn seiner meteorhaften Rennkarriere gewesen, und — wie Alec jetzt bewußt geworden war — das Ende der herrlichen Zeit, in der er ihm allein gehört hatte...
    Links von Alecs Sitz war noch ein Bild an der Wand, größer als die drei anderen. Er hatte nicht nötig hinzusehen, denn er sah im Geist jede Einzelheit genau vor sich: es war ein Foto von Blitz und zeigte seinen schönen Araberkopf. Es war lange her, seit er die Aufnahme gemacht hatte. Sein Vater hatte sie vergrößern und einrahmen lassen. Der Hintergrund war der Himmel, Blitz zeichnete sich so lebensvoll davon ab, daß man das Gefühl hatte, nur hinübergreifen zu brauchen, um das feingezeichnete Maul zu berühren und es weich und bebend in der Hand zu fühlen.
    Es war ein schmaler Kopf, edel und kühn, mit großen Augen, aus denen Feuer und Mut strahlten. Sein weiches Stirnhaar und die schwere schwarze Mähne waren von dem starken Wind, der an jenem Tag geweht hatte, zurückgerissen. Die kleinen Ohren hielt er so straff gespitzt, daß sie sich beinahe an den Spitzen berührten, und seine empfindsamen Nüstern waren geweitet, denn er war der Kamera gegenüber voller Mißtrauen.
    Alec schloß die Augen, um in Ruhe nachzudenken. Dann öffnete er sie wieder und sprach laut vor sich hin: „Heute habe ich Vulkan geritten und mit ihm die dreifache Krone des Turfs gewonnen. Mehr kann sich kein Mensch wünschen. Ich bin der glücklichste Mensch auf der Welt!“ Er wiederholte diese Worte und stand auf. Er wußte, daß er sich eben selbst belogen hatte — denn er war ganz und gar nicht glücklich...

Die Wirklichkeit

    Alec schickte sich eben an, die Geschirrkammer zu verlassen, als sich die Stalltür öffnete und Henry hereinkam. Seb sprang ihm freudig bellend entgegen.
    „Ich sah das Licht und dachte mir, daß du im Stall sein würdest, Alec! Ist etwas nicht in Ordnung?“
    „Alles bestens! Ich hab nur mal eben nach Napoleon geschaut...“
    Während beide zu dem alten grauen Wallach hinübergingen, sagte Henry: „Ich bin froh, daß du jetzt mit der Schule fertig bist. Nun kannst du doch wenigstens morgens immer mit mir auf die Rennbahn hinausfahren.“
    Alec stand neben Henry, die Hand auf Napoleons Kopf. „Ich hatte das Bedürfnis, in den Stall zu gehen, von dem alles seinen Anfang genommen hat“, erwiderte er ruhig. „Ich weiß, daß wir Vulkan hier nicht mehr einstellen können, aber ich wünschte so sehr, daß es möglich wäre.“
    Henry sah ihn überrascht an, lächelte dann verstehend und sagte: „Jaja, es ist auf der Rennbahn schon anders... Mich haben die Fotoreporter heute auch fertig gemacht. Aber früh morgens ist es nicht so schlimm, Alec. Natürlich sind immer Leute da, die jede Bewegung, die wir mit Vulkan machen, mit Argusaugen verfolgen, doch daran wirst du dich gewöhnen. Wir können nun einmal jetzt nichts anderes erwarten.“
    „Nein, das können wir nicht“, bestätigte Alec leise, „und es ist ja auch so, wie wir es uns gewünscht haben.“ Henry sah Alec lange prüfend an, bevor er sagte: „Und jetzt wünschst du es dir nicht mehr?“
    „Das habe ich nicht gesagt, Henry.“
    „Nein, ausgesprochen hast du es nicht, aber gedacht hast du es. Stimmt’s?“
    Alec wandte sich ab. Nach mehreren Minuten nachdenklichen Schweigens antwortete er: „Ich weiß überhaupt nicht, was ich will, Henry. Ich bin ganz durcheinander...“
    „Mir scheint, es ist besser, du
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