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Blinder Passagier

Blinder Passagier

Titel: Blinder Passagier
Autoren: Patricia Cornwell
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von dir weiß, dann dass du standhalten wirst. Das hast du immer getan. Diese Zeit ist die schwierigste in deinem Leben, aber es kommen auch wieder bessere Zeiten. Das verspreche ich dir, Kay.«
    Ich umarmte ihn.
    »Danke«, flüsterte ich. »Danke, dass du gekommen bist, dass du den Brief nicht in irgendeinem Ordner hast liegen lassen, dass du ihn nicht vergessen hast, dass es dir nicht gleichgültig war.«
    »Du wirst mich anrufen, wenn du mich brauchst?« Es war mehr ein Befehl als eine Frage. Ich öffnete die Haustür. »Aber vergiss nicht, was ich gesagt habe, und versprich mir, dass du dich nicht vernachlässigt fühlen wirst.«
    »Ich verstehe.«
    »Ich bin für dich da, wenn du mich brauchst. Denk dran. Mein Büro weiß immer, wo ich bin.«
    Ich sah dem schwarzen Lincoln nach, dann ging ich ins große Zimmer und machte ein Feuer im Kamin, obwohl es nicht so kalt war, dass man es gebraucht hätte. Aber ich sehnte mich verzweifelt nach etwas Warmem und Lebendigem, um die Leere zu füllen, die Senator Lord zurückgelassen hatte. Wieder und wieder las ich Bentons Brief und hörte in Gedanken seine Stimme.
    Ich stellte ihn mir mit hochgekrempelten Hemdsärmeln vor, die Adern an seinen kräftigen Unterarmen traten hervor, in den starken eleganten Händen hielt er den silbernen Mont-Blanc-Füller, den ich ihm geschenkt hatte, weil er zu Bentons Präzision und Unverfälschtheit passte. Die Tränen nahmen kein Ende, und ich hielt das Blatt mit seinen aufgedruckten Initialen hoch, damit seine Handschrift nicht verschmierte.
    Sein Stil und seine Ausdrucksweise waren immer zielgerichtet und knapp gewesen, und ich empfand seine Worte als Trost und als Qual, während ich sie zwanghaft analysierte und nach einem Hinweis, einer Bedeutung und einem Tonfall suchte, die ich bislang übersehen hatte. Zwischendurch glaubte ich nahezu, dass er mir auf kryptische Weise mitteilte, sein Tod sei nicht wirklich, sondern Teil einer Intrige, eines Plans gewesen, irgendetwas, was das FBI, die CIA oder sonst wer in Szene gesetzt hatte. Dann war ich wieder mit der Wahrheit konfrontiert, die es mir kalt ums Herz werden ließ. Benton war gefoltert und ermordet worden.
    DNS, Röntgenaufnahmen der Zähne und seine persönlichen Dinge hatten bestätigt, dass die unkenntlichen Reste er waren.
    Ich überlegte, wie ich seiner Bitte heute Abend Folge leisten sollte, und hielt es für undurchführbar. Es war eine lächerliche Vorstellung, dass Lucy zum Abendessen nach Richmond, Virginia, fliegen würde. Ich versuchte sie trotzdem zu erreichen, denn darum hatte Benton mich gebeten. Eine Viertelstunde später rief sie mich von ihrem Handy aus zurück.
    »Ich habe gehört, dass du mich sprechen willst. Was gibt's?«, sagte sie gut gelaunt.
    »Das ist schwer zu erklären«, begann ich. »Ich wünschte nur, dass ich mich nicht immer zuerst an dein Büro wenden müsste, wenn ich mit dir reden will.«
    »Ich auch.«
    »Und ich kann auch gar nicht viel sagen .« Ich wurde wieder ganz aufgewühlt.
    »Was ist denn los?«, fragte sie mich.
    »Benton hat mir einen Brief geschrieben -«
    »Wir reden ein andermal weiter«, unterbrach sie mich, und ich verstand, oder zumindest nahm ich das an. Handys waren nicht sicher.
    »Fahr rechts ran«, sagte Lucy zu jemand anders. »Tut mir Leid«, sagte sie zu mir. »Wir machen einen Boxenstop bei Los Bobos, um uns einen Colada reinzuziehen.«
    »Einen was?«
    »Viel Koffein und Zucker in einem Schnapsglas.«
    »Er wollte, dass ich ihn jetzt, das heißt heute lese. Er wollte, dass du ... Ach, egal. Es ist alles so albern.« Ich versuchte so zu klingen, als ginge es mir blendend.
    »Ich muss jetzt los«, sagte Lucy zu mir.
    »Kannst du später noch einmal anrufen?«
    »Mach ich«, sagte sie in demselben enervierenden Tonfall.
    »Mit wem bist du unterwegs?« Ich versuchte, das Gespräch zu verlängern, weil ich ihre Stimme brauchte und nicht mit dem Echo ihrer plötzlichen Kälte im Ohr zurückbleiben wollte.
    »Meiner Psycho-Partnerin«, sagte sie.
    »Grüße sie von mir.«
    »Sie lässt grüßen«, sagte Lucy zu ihrer Partnerin Jo, die bei der Drug Enforcement Agency, DEA, der Drogenfahndung arbeitete.
    Sie waren beide einer High-Intensity-Drug Trafficking-Area-Spezialeinheit zugeteilt, einer HIDTA, die zuständig war für ein Gebiet mit hohem Drogenkonsum und -schmuggel und bereits eine Reihe von überaus gefährlichen Razzias durchgeführt hatte. Jos und Lucys Beziehung war auch in anderer Hinsicht eine Partnerschaft, aber
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