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Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod

Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod

Titel: Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod
Autoren: Andreas Winkelmann
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hinein.
    Sofort ruckten alle Köpfe in ihre Richtung.
    Dr. Sternberg warf ihr ein Lächeln zu und nickte.
    »Dieses Wort hätte ich nicht gewählt, aber es trifft den Nagel auf den Kopf. Absolution. Lassen wir den religiösen Charakter einmal beiseite. Absolution ist hergeleitet vom lateinischen absolvere und bedeutet loslösen, freisprechen.«
    Dr. Sternberg trat von ihrem Pult zurück und ging auf und ab.
    »Diese Frauen erwarten, dass ich sie von einer Schuld freispreche. Sie fühlen sich schuldig. Finden Sie das nicht merkwürdig? Sie sind Opfer eines Psychopathen geworden, und Opfer tragen doch keine Schuld. Woher also dieser Wunsch?«
    »Ich kann mir vorstellen, worauf sie hinauswollen«, sagte Tanja Schildknecht.
    »Na, dann raus damit.«
    »Sie sprechen von Frauen, die an der Seite von Psychopathen gelebt haben, oft jahrelang, ohne es zu merken. Die glauben echt, sie seien selbst schuld, weil sie sich haben täuschen lassen. So wie es auch uns gehen würde, wenn so ein Typ neben uns sitzt.«
    »Genau! Aber es geht noch darüber hinaus. Viele dieser Frauen haben nicht nur passiv an der Seite eines Gewissenlosen gelebt, nein, sie haben ihn auch noch aktiv unterstützt, haben sich vor seinen Karren spannen lassen, sich schützend vor ihn gestellt, ihm Mitleid gespendet. Auch als sie erkannten, dass mit ihrem geliebten Partner etwas nicht stimmt, machten sie weiter – weil der Gewissenlose es ihnen einfach machte. Psychopathen sind ausnahmslos hervorragende Lügner und Schauspieler. Selbst wenn man die Anzeichen kennt oder wenn man schon etwas ahnt, so wie diese Frauen, kann man sich nicht sicher sein. Vielleicht verheimlicht der Psychopath Ihnen gerade das, worauf Sie zu achten gelernt haben.«
    »Also kann man sie gar nicht erkennen?«, fragte ein Teilnehmer.
    »Doch, man kann. Es gibt Methoden, einen Gewissenlosen zu erkennen. Diese zu vermitteln, Sie dafür zu sensibilisieren, dafür habe ich dieses Seminar ins Leben gerufen. Die Gewissenlosen machen uns anderen, die wir ein Gewissen haben, die wir Mitleid empfinden, jeden Tag aufs Neue das Leben schwer. Und ich denke, es ist an der Zeit, etwas dagegen zu tun. Finden Sie nicht auch?«
    »Das würden wir nur zu gern«, sagte ein Beamter mit Vollbart und dickem Bauch. »Aber ich glaube trotzdem, es ist, wie eine Kollegin vorhin in der Pause gesagt hat: Man erkennt ihn erst, wenn man sein Messer im Rücken hat.«
    »Ein anschauliches Bild«, sagte Dr. Sternberg. Ihr Blick glitt zu Nele hinüber und verharrte einen Moment bei ihr, bevor sie sich dem letzten Sprecher zuwandte.
    »Aber so weit müssen wir es nicht kommen lassen. Nicht in jedem Fall.«
    Sie schaltete den Laptop ein. An der weiß getünchten Stirnwand des Seminarraums tauchte ein einziges Wort auf.
    Gewinnen.
    Sie ließ das Wort zunächst auf die Anwesenden wirken.
    »Soziopathen wollen um jeden Preis gewinnen. Sie wollen mit uns spielen und gewinnen. Sie wollen unser Geld, unseren Stolz, unser Mitleid, unsere Kraft, manche wollen auch unser Leben, aber das sind die wenigsten. Ein überdurchschnittliches Bedürfnis nach Stimulation treibt sie an, lässt sie niemals ruhen. Sie können und wollen sich nicht um andere Menschen kümmern, bauen keine Beziehungen um der Emotionen willen auf. Das Einzige, was den Gewissenlosen bleibt, ist der Sieg. Gewinnen um jeden Preis.«
    »Aber will das nicht jeder?«, fragte Tanja Schildknecht.
    Frau Dr. Sternberg sah sie an. »Sie haben vorhin, als es in die Pause ging, den anderen die Tür aufgehalten und sind aus diesem Grund wahrscheinlich zuletzt am Kaffeeautomaten gewesen, haben in Kauf genommen, keinen mehr zu bekommen. Sie wollten nicht die Erste sein, wollten nicht gewinnen.«
    »Aber das sind doch Banalitäten!«
    »Im Banalen finden sich häufiger soziopathische Grundzüge als in auffälligem Verhalten. Die wenigsten Soziopathen sind Serienmörder. Die allermeisten spielen kleinere Spiele, die wir anderen nicht bemerken. Aber auch dabei finden sie ihre Opfer, und die leiden nicht weniger, nur weil sie mit dem Leben davonkommen. Achten Sie zukünftig gerade auf die banalen Zeichen.«
    »Und welche sind das?«
    Frau Dr. Sternberg ließ ihren Blick über die Seminarklasse gleiten.
    »Mitleid«, sagte sie schließlich laut und deutlich. »Psychopathen wollen bemitleidet werden.«
    Laufen!
    Du musst laufen, so schnell du kannst!
    Links und rechts duckten sich niedrige Gebäude, doch Miriams anfängliche Hoffnung, sich in bewohntem Gebiet zu befinden, zerschlug
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