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Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod

Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod

Titel: Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod
Autoren: Andreas Winkelmann
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fließen. Stoisch ertrug sie seinen nicht enden wollenden Blick. Eine Minute lang fraß er sich in ihre Eingeweide, und währenddessen meinte sie sogar, den Hass zu spüren, den er für sie empfand.
    Dann wandte er sich ab, stieß die Tür auf und stieg aus.
    Miriam wagte einen schnellen Blick. Sie sah nur den Umriss des Mannes neben dem Wagen, wo er wieder minutenlang stehen blieb, während die Panik immer stärker wurde in ihr.
    Du schaffst das, du schaffst das, er ist dir nicht gewachsen, wiederholte sie in Gedanken immer wieder. Ein Mantra zu haben war wichtig, hatte ihr Trainer Cem gesagt. Ein Mantra ließ keinen Raum für Zweifel und Angst, keinen Raum für destruktive Gedanken, motivierte das Unterbewusstsein und lenkte den Fokus auf ein bestimmtes Ziel. Boxer gingen auch so vor, hatte er behauptet.
    Er tauchte an der hinteren Tür auf, öffnete sie und beging damit genau den Fehler, auf den Miriam gehofft hatte.
    Erst als er sich ins Wageninnere beugte und eine Hand auf ihren Unterschenkel legte, hob sie den Kopf, orientierte sich kurz und stieß dann mit aller Kraft zu. In ihren Oberschenkelmuskeln steckte eine Menge Kraft. Drei Mal die Woche zehn Kilometer laufen hatte harte Muskeln geformt.
    Sie trat ihm mit voller Wucht gegen die Brust.
    Mit einem Ächzen verschwand er aus dem Wageninnern.
    Auch sie robbte hinaus.
    Lang hingestreckt lag er neben dem Wagen und rührte sich nicht. Ob sie ihn ernsthaft verletzt hatte, konnte Miriam nicht erkennen, aber für den Moment war er kampfunfähig, und das musste sie ausnutzen.
    Weg!
    Sofort!
    Doch da trat er schon nach ihr und erwischte sie am Schienbein. Er trug Stiefel mit harter Sohle, der Tritt war äußerst schmerzhaft.
    Miriam schrie auf, laut und gellend. Ihr Schrei hallte ein paar Mal wider, so als befände sie sich zwischen Gebäuden. Sie taumelte ein paar Schritte von ihm weg und schrie um Hilfe. Vielleicht lebten ja doch Menschen hier!
    Der Mann kam nur mühsam auf die Knie, schaffte es aber aufzustehen. Er war groß, seine Haltung signalisierte Kraft und Entschlossenheit. Obwohl Miriam wusste, dass sie längst hätte abhauen sollen, hatte sie plötzlich nur noch Augen für ihn. Sie fühlte sich in seinem Blick gefangen wie eine Maus in dem einer Schlange. Seine Augen leuchteten, als schlügen Flammen aus seinen Pupillen.
    Nein, nein, nein, das bildest du dir nur ein.
    Unvermittelt stürzte er auf sie zu, aber Miriam hatte mit dem Angriff gerechnet und konnte jetzt die Techniken abrufen, die sie in unzähligen Trainingseinheiten erlernt hatte, die zu einem Automatismus geworden waren. Mit einer schnellen Bewegung stellte sie sich seitlich zu ihm, packte seinen ausgestreckten rechten Arm, nutzte seinen Schwung aus und schleuderte ihn zu Boden. Sofort setzte sie nach, denn wer aus Mitleid abwartete, hatte schon verloren. Ihr erster Tritt traf ihn in den Bauch. Der zweite seinen Oberschenkel, und das tat ihr wahrscheinlich mehr weh als ihm.
    »Du Wichser!«, schrie sie ihre Wut und Angst hinaus. »Das hast du dir so gedacht, du erbärmlicher Feigling!«
    Den nächsten Tritt platzierte sie in seine Weichteile und legte all ihre Kraft hinein. Diesmal gab er ein lautes Stöhnen von sich und rollte sich zusammen.
    Miriam wollte gar nicht wissen, wie schwer sie ihn verletzt hatte. Sie drehte sich um und lief.
    »Sie haben ihn in der Pause nicht ausfindig machen können und erwarten jetzt, dass ich den Soziopathen enttarne, richtig?«
    Im Seminarraum hätte man eine Stecknadel zu Boden fallen, hätte wahrscheinlich sogar noch den Hall hören können. Frau Dr. Sternberg stand mit vor der Brust verschränkten Armen an das Pult gelehnt da und ließ ihren Blick schweifen.
    »Wissen Sie, ich halte diese Art von Vortrag zwölf Mal im Jahr. Nicht immer vor Beamten wie Ihnen. Ich halte ihn auch vor Gruppen von Frauen, die Opfer eines Psychopathen geworden sind. Warum kommen diese Frauen in mein Seminar? Was meinen Sie?«
    »Damit es ihnen nicht noch einmal passiert«, schlug jemand vor.
    »Sollte man meinen. Und diesen Grund geben die Frauen auch an, doch das ist nicht die ganze Wahrheit. Natürlich würden sie von mir gern ein Patentrezept an die Hand bekommen, das sie in Zukunft vor solchen Menschen schützt. Wer würde das nicht wollen? Wenn das aber nicht der wirkliche Grund dafür ist, dass diese Frauen meine Seminare besuchen, welcher ist es dann? Kann sich das jemand von Ihnen vorstellen?«
    Niemand sagte etwas.
    »Absolution«, rief Nele in die Stille
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