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Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod

Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod

Titel: Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod
Autoren: Andreas Winkelmann
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Mädchen.
    Alex trank erneut einen Schluck Kaffee und wollte zur Abwechslung gerade einen Ordner mit der Bezeichnung »Rechnungen« öffnen, als es an der Haustür klopfte.
    Misstrauisch zog er die Augenbrauen zusammen.
    Kaum jemand wusste, dass er hier lebte, und spontane Besuche bekam er so gut wie nie, schon gar nicht um diese Uhrzeit. Die Wege hier raus waren dunkel, einsam und sehr kurvig.
    Er stand auf, durchquerte das Wohnzimmer, betrat den winzigen Flur und schaltete die Außenbeleuchtung ein. Die Haustür hatte einen Glaseinsatz, und dank der spärlichen Beleuchtung zeichnete sich darin ein merkwürdig deformierter Körper ab.
    Es klopfte erneut.
    Alex drehte den Schlüssel herum und öffnete die Tür.
    Jördis stand davor und lächelte ihn an. Trotz der späten Stunde strahlte sie wie immer vor Energie. Ihre grau-grünen Augen leuchteten im Licht der Lampe. Sie trug enge Bluejeans sowie ein graues Oberteil aus Wolle, das ihr bis über die Hüfte reichte und in der schmalen Taille von einem braunen Ledergürtel gerafft wurde. Über ihrer rechten Schulter hing eine große Sporttasche – was die Deformation erklärte.
    »Störe ich den alten Herrn zu so später Stunde?«, fragte sie.
    Alex warf einen demonstrativen Blick auf seine Armbanduhr.
    »Ich hatte Essen auf Rädern erwartet oder die nette Dame vom Pflegedienst … Aber was soll’s, die Putzfrau tut’s auch.«
    Sie kam ganz dicht heran. Er konnte ihren warmen Atem spüren, der nach Alkohol roch.
    »Pass auf, was du sagst, Alter, so ein junges Küken wie mich bekommst du nicht nochmal.«
    Jördis war zweiundzwanzig – und damit dreizehn Jahre jünger als er –, sah aber aus wie achtzehn. Sie hatte eine knabenhafte Figur und trug ihr blondiertes Haar sehr kurz. Mit ihren eins achtundsiebzig war sie nur zwei Zentimeter kleiner als Alex, und das machten die hohen Absätze ihrer Stiefel mehr als wett, sodass sie sich Auge in Auge gegenüberstanden. Sie war nicht mehr nüchtern, und diese laszive, enthemmte Stimmung, in der sie sich befand, machte sie noch reizvoller als ohnehin schon.
    »Warum hast du nicht angerufen? Ich hätte dich vom Bahnhof abgeholt.«
    »Dann wäre es ja keine Überraschung mehr gewesen … Außerdem hat mich schon jemand abgeholt.«
    »Wer?« Klang das ein bisschen zu forsch?, fragte Alex sich.
    »Carla. Wir haben auf ihre bestandene Prüfung angestoßen.«
    »Wow! Und das nach nur fünfhundert Fahrstunden.«
    Endlich erreichten ihre Lippen seine, und sie küssten sich in der geöffneten Tür.
    »Lässt du mich rein?«, fragte Jördis.
    Alex löste sich nur widerwillig von ihr, trat zurück und ließ sie ins Haus. Noch auf dem Flur ließ sie die schwere Sporttasche zu Boden fallen.
    »Was hast du da drin, deinen Hausstand?«
    »Was dagegen, wenn ich ein paar Tage bei dir bleibe?«
    »Auf keinen Fall.«
    Mit einem Ruck drehte sie sich um, presste ihn gegen die Tür und küsste ihn leidenschaftlich. Sie selbst schafften es gerade noch bis ins Schlafzimmer. Ihre Kleider nicht mehr.
    Das bleiche Antlitz des Mondes lauerte riesenhaft hinter der schwarzen Armee der Bäume. Immer noch waren sie hinter ihr her, streckten ihre Äste nach ihr aus und versuchten sie zu fangen. Ein unheimliches Geräusch ging von ihnen aus. Ein zunächst unterschwelliges Raunen, das sich aber schnell zu dem wütenden Knurren eines hungrigen Wolfes steigerte. Es war ganz dicht bei ihr, drang in sie ein, sie schwebte auf dem dunklen Timbre der tiefen Stimme und sah das weit aufgerissene Maul mit den Fangzähnen vor sich.
    In diesem Moment erwachte Miriam Singer, und das Knurren des Wolfes verwandelte sich in das gleichmäßige Brummen eines Automotors.
    Sie lag auf der Rückbank, die Beine angewinkelt, den Kopf nach rechts gedreht. Speichel lief ihr aus dem Mundwinkel. Jemand hatte eine muffig riechende Decke über sie ausgebreitet, doch die war von ihrem Gesicht gerutscht, sodass sie etwas sehen konnte.
    Das bläuliche Licht der Armaturen ließ den Fahrzeughimmel über ihr gespenstisch schimmern. Es reichte aus, um die Hand zu erkennen, die oben auf der Rückenlehne des Beifahrersitzes lag. Eine kräftige, gebräunte Hand mit einem goldenen Ring auf dem Ringfinger. Ganz ruhig und entspannt lag diese Hand dort, einen Finger um den metallenen Stab der Nackenstütze geschlungen. Miriam bewegte vorsichtig ihren Kopf und erhaschte einen Blick auf die Silhouette des Fahrers. Dessen Haar war dunkel und voll und glänzte bläulich. Er hatte kräftige Kiefer,
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