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Bleib doch, liebes Hausgespenst!

Bleib doch, liebes Hausgespenst!

Titel: Bleib doch, liebes Hausgespenst!
Autoren: Marie Louise Fischer
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Monika, Ingrid und er hatten ein Geheimnis miteinander, und es war nur zu wahrscheinlich, daß Monikas Tränen mit diesem Geheimnis im Zusammenhang standen.
    Draußen, auf dem hellen, breiten Gang des modernen Hauses, das eine sogenannte Mittelpunktsschule beherbergte, hatte Ingrid den Arm um Monikas Schultern gelegt. „Heul dich nur aus“, sagte sie verständnisvoll, „was raus muß, muß raus! Und nachher erzählst du mir dann, was los ist, ja?“
    Die beiden standen vor einem riesigen bunten Wandmosaik, das die „Kunst“ an dem Schulbau vertrat, aber keine von ihnen hatte Augen für die blau-grün-rot-gelb-goldene Farbenpracht.
    Monika befolgte nicht den Rat der Freundin, ihren Tränen erst einmal freien Lauf zu lassen, sondern sie rang um Beherrschung. „Ich muß immer an Amadeus denken“, brachte sie schluchzend hervor, „er... er tut mir ja sooo leid!“
    „Aber warum denn?“ fragte Ingrid ganz erstaunt.
    „Ja, hast du denn in Relix nicht aufgepaßt?“ Monika versuchte mit den Fäusten, ihre Wangen zu trocknen. „Wie der Herr Pfarrer uns von unserer unsterblichen Seele erzählt hat?“
    „Schon. Aber das ist doch eine alte Geschichte.“ Ingrid holte ein blütenweißes, zart duftendes und sorgsam zusammengefaltetes Tuch aus der Innentasche ihres Faltenrockes und reichte es Monika. „Da, putz dir die Nase!“
    Monika tat, wie sie gesagt hatte. „Aber was ist dann mit Amadeus? Was ist mit seiner Seele?“
    „Wahrscheinlich hat er gar keine“, meinte Ingrid gelassen. „Waaas?“ Entsetzt riß Monika die Augen auf, und auch ihre letzten Tränen versiegten von einer Sekunde auf die andere. „Wie kannst du so etwas sagen?“
    „Ich denk’s mir eben. Weil Norberts Vater doch meint, daß Amadeus ein Kobold ist.“
    „Aber wie kann Norberts Vater das wissen? Er kennt Amadeus doch gar nicht.“
    „Ich nehme an, Norbert hat ihm eine Menge erzählt.“
    „Trotzdem! Wissen kann er es nicht! Und wenn Amadeus nun doch das ist, was er selber sagt? Wenn er doch als kleiner Junge vor zweihundert Jahren im Seerosenteich hinter unserem Haus ertrunken ist? Und wenn er nun für immer und alle Zeiten gespenstern muß?“
    „Ja, dann „...Ingrid legte den Finger an die Nase und dachte nach, „...kann ich ihm auch nicht helfen“, sagte sie endlich.
    „Wie kannst du nur so herzlos sein!“ Schon wieder wurden Monikas Augen feucht.
    „Reg dich bloß nicht auf! Soll ich dir mal sagen, was mit dir los ist? Du hast einfach zu wenig Schlaf.“
    „Aber ich leg mich jeden Mittag hin!“
    „Ja, ich weiß... du verschläfst die schönste Zeit des Tages, um Nacht für Nacht von Amadeus geweckt zu werden. Und dann fließt du auch noch über vor Mitleid um diesen Lauser.“
    „Aber kannst du dir denn nicht vorstellen, wie das ist, Ingrid? Wenn man gar keine Abwechslung hat, nicht essen, nicht schlafen und nicht lesen, ja, nicht einmal lernen oder arbeiten kann? Wenn niemand einen beachtet und einem nichts anderes einfällt als dumme Streiche... na ja, ein paar kluge waren ja auch darunter. Aber kannst du dir nicht vorstellen, wie öd das sein muß und wie langweilig? Hast du denn gar kein Mitleid mit Amadeus?“
    Ingrid schüttelte den Kopf. „Nein“, bekannte sie ehrlich, „höchstens mit dir!“
    Es läutete zum Schulschluß, und kurz darauf kamen die anderen aus dem Klassenzimmer gestürmt. Allen voran stürzte Norbert auf die Freundinnen zu und nahm sie beiseite.
    „Was ist los?“ wollte er wissen. „Warum heulst du, Moni?“
    Sie zog die Nase hoch. „Tu ich ja gar nicht!“
    „Moni ist unglücklich“, erklärte Ingrid in dem belehrenden Ton eines langmütigen Erwachsenen, „weil Amadeus ein so ödes Leben führen muß...“
    „Ja, tut er denn das?“ fragte Norbert erstaunt.
    „...und weil seine unsterbliche Seele keine Erlösung findet“, fügte Ingrid hinzu.
    „Aber wie oft soll ich euch noch sagen... er hat gar keine Seele. Er ist nichts als ein Kobold!“
    Monika funkelte ihn an. „Und woher willst du das wissen?“
    „Alle Sym... sym... sy „...Norbert kratzte sich am Kopf. „Verflixt, ich komm jetzt nicht drauf!“
    „Meinst du vielleicht... Symptome?“ half Ingrid ihm.
    „Ja, genau. Alle Symptome sprechen dafür. Das haben wir doch nun schon oft genug durchgekaut. Mein Vater sagt...“
    „Aber er kennt ihn doch gar nicht!“
    „Das ist deine eigene Schuld, Monika! Natürlich wär’s besser, mein Vater könnte sich selber überzeugen. So kann ich ihm immer alles nur erzählen, und
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