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Bleib doch, liebes Hausgespenst!

Bleib doch, liebes Hausgespenst!

Titel: Bleib doch, liebes Hausgespenst!
Autoren: Marie Louise Fischer
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Suppenschüssel unversehrt wieder auf den Tisch zurück.
    Alle atmeten auf.
    „Der raubt mir noch den letzten Nerv!“ seufzte Liane, während, sie ihren Löffel in die Suppe senkte. Liane war vor wenigen Tagen sechzehn geworden. Sie hatte eine unverkennbare Ähnlichkeit mit Monika, aber sie wirkte hübscher. Ihre großen grünen Augen, die Monikas glichen, pflegte sie durch Tuschen der Wimpern und Nachziehen der ausgezupften Augenbrauen eindrucksvoller zu machen. Ihr Haar war hellblond und nicht rot wie Monikas, und sie war nicht spindeldürr wie die kleine Schwester, sondern ihre Formen hatten schon begonnen, sich reizvoll zu runden.
    „Mich kann der schon lange!“ behauptete Bruder Peter, ein zwölfjähriger Junge mit struppigem blonden Haar, das, wie immer, in alle Richtungen auseinanderstrebte.
    „Ihr solltet nicht so häßlich von Amadeus sprechen!“ schrie Monika und mußte schon wieder gegen Tränen kämpfen, die in ihr aufsteigen wollten.
    „Du mit deinem Amadeus!“ erwiderte Liane abfällig.
    Das Ölgemälde im Erker, der eine Stufe höher lag als der übrige Raum, begann zu wackeln. Dann löste es sich vom Haken und begann, quer durch den Raum zu fliegen. Es stammte aus dem 18. Jahrhundert und stellte einen Jungen mit weit auseinanderstehenden blauen Augen und einer weißen Perücke dar, sehr adrett gekleidet in einen blauen Seidenanzug, mit unter den Knien gebundenen Hosen, weißen Zwirnstrümpfen und schwarzen Schuhen mit silbernen Schnallen. Das Bild glich dem Hausgespenst, wenn es sich sichtbar machte, bis aufs I-Tüpfelchen, und Amadeus pflegte zu behaupten, eben dieser Junge zu sein.
    „Schämt euch! Jetzt habt ihr ihn gekränkt!“ klagte Monika.
    Die Mutter kam ihr zur Hilfe. „Ich finde auch, ihr solltet das lassen! Schließlich hat er euch nichts getan.“
    „Im Gegenteil!“ rief Monika. „Ohne ihn hätten wir in diesem schönen Haus nicht mal zur Miete wohnen können... aber er hat alle anderen Leute vergrault! Und wenn er uns nicht den Schatz gezeigt hätte, hätten wir es niemals kaufen können.“
    Liane ließ sich nicht beschwichtigen. „Ich pfeife auf das schöne Haus! Was hat man schon von einem Haus, in das man keine Leute einladen darf?!“
    „Ach, sei doch nicht so! Sicher kannst du das mal! Wenn du einen festen Termin angibst und ich vorher mit Amadeus spreche...“
    Das Ölgemälde hatte eine Ehrenrunde durch den ganzen Raum hinter sich gebracht, um sich dann, so sanft, wie es sich gelöst hatte, wieder an den Haken zu hängen.
    „Das wäre äußerst gnädig von deinem reizenden Gespenst“, sagte Liane in beißendem Ton.
    „Es ist nicht mein Gespenst! Ich habe es nicht erfunden, das weißt du genau! Es war schon im Haus, als wir einzogen!“
    „Das wissen wir doch alle“, sagte Frau Schmidt einlenkend, „laß dich nicht immer von den anderen provozieren, Monika. Sie wissen genau, daß sie allen Grund haben, dir und Amadeus dankbar zu sein.“
    Monika schluckte ihre Tränen und lächelte der Mutter zu. „Danke, Mutti.“
    „Und nun hört auf zu streiten und eßt die Nudelsuppe! Ich habe sie mit viel Liebe gekocht.“
    „So schmeckt sie auch“, lobte Monika.
    „Wenn ich glauben könnte, daß Sophia Loren ihre schlanke Linie wirklich den Spaghetti verdankt, würde ich sogar noch eine zweite Portion nehmen!“ erklärte Liane.
    Alle lachten, und der Friede war wiederhergestellt.
    Nach dem Essen machte Monika ihr Mittagsschläfchen. Sie hatte sich schon so dran gewöhnt, daß ihr, gleichgültig ob ihre Nachtruhe gestört worden war oder nicht, schon nach wenigen Minuten die Augen zufielen. Nach einer knappen Stunde erwachte sie von selber, dehnte und reckte sich, gähnte gründlich, fühlte sich erfrischt und stand auf. Danach kamen die Schularbeiten an die Reihe, und dann Kaspar, der große, bernhardinerartige Hund, der in einer gut ausgepolsterten Hundehütte wohnte. Er gehörte eigentlich Monikas Bruder, aber Peter nahm ihn auf seine Streifzüge in die Umgebung mit, bemühte sich auch gelegentlich, ihm Apportieren und andere Kunststückchen beizubringen. Doch er war zu bequem und zu vergeßlich, um Kaspar die tägliche Pflege angedeihen zu lassen, die ein Hund braucht, um sich wohl zu fühlen. So war es Monika, die für Kaspars Fütterung sorgte, und Monika, die ihn bürstete, ihm die Schlappohren saubermachte und die Nase eincremte.
    In Begleitung von Kaspar, der freudig um sie herumsprang, lief sie dann in den Stall, um Bodo, den schweren Hannoveraner,
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