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Bleeding Violet - Niemals war Wahnsinn so verfuehrerisch

Titel: Bleeding Violet - Niemals war Wahnsinn so verfuehrerisch
Autoren: Dia Reeves
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nicht anders, ich stellte mir vor, wie sie mich mit sich rissen … in den Abwassergraben.
    »Du erwartest jetzt aber nicht von mir, dass ich laufe, oder? Bei dem Sturm? Ich hol mir eine Lungenentzündung.«
    »Du sollst auch nicht laufen. In der Garage steht ein Fahrrad.«
    »Ein Fahrrad?«
    Ich ging zur Hintertür und spähte durch die Glasblende. Wildwassersturzbäche strömten die Ausfahrt runter zur Straße und warteten nur darauf, mich und das Fahrrad, von dem Rosalee sprach, umzureißen.
    Das musste ein Test sein. Gott testet seine Anhänger, richtig? Er stellt ihnen grausame Aufgaben, um ihren Glauben und ihre Ergebenheit zu testen. Rosalee wollte sehen, wie weit sie bei mir gehen konnte. Sie wollte sehen, ob ich aufgab, bevor ich die Wette gewonnen hatte.
    »Hier.«
    Rosalee stand hinter mir und hatte einen schwarzen Regenmantel und Gummistiefel in der Hand.
    »Ich trage kein Schwarz.«
    »Ich dachte, du wolltest dir keine Lungenentzündung holen.« Sie knallte mir das Regenzeug hin. » Nimm es.«
    Ich nahm es.
    »Du brauchst auch Geld für dein Mittagessen.« Sie steckte mir einen Fünf-Dollar-Schein unter den Träger meines Kleids. Als wäre ich eine Stripperin! Dann stopfte sie Blöcke und Stifte in meine Tasche. Als sie fertig war, zog sie den Reißverschluss der Tasche zu und drehte sich zu mir. »Zieh den Regenmantel an!«
    Ich tat es und fühlte mich ganz betrunken von ihrer Aufmerksamkeit.
    »Und die Gummistiefel.«
    Auch wenn ein Kind jemandem den Kopf eingeschlagen hatte, würde seine Mutter es immer noch vor Regenwetter schützen wollen. Diese mütterliche Fürsorge hatte ich mein Leben lang vermisst.
    Sie gab mir meine Tasche und scheuchte mich zur Hintertür raus. Ich trat hinaus in eine fast schon kühle Brise. Dunkle Gewitterwolken hatten den gesamten Himmel gekapert. Starker Regen verschleierte die Morgenluft wie Nebel.
    »Soll ich zu einer bestimmten Zeit wieder zu Hause sein?«, fragte ich Rosalee, als sie ihren Kopf kurz rausstreckte, um nach dem Wetter zu sehen.
    »Es ist mir egal, ob du überhaupt wiederkommst«, sagte sie, und ihre Stimme wurde fast von dem Donnern des Regens verschluckt. »Ich hoffe bei Gott, dass du nicht wiederkommst.«
    Rosalee knallte die Tür zu und ließ mich im Regen stehen.

4

    Ich war so früh in der Schule angekommen, dass ich nicht erwartet hatte, andere Kinder zu sehen, aber sie füllten bereits die hellblauen Korridore. Jedes einzelne war schwarz gekleidet, als hätte ein Goth die Schulkleidung festgelegt.
    Country Goths? Hat man davon schon gehört?
    Die Kids an der Portero High waren nicht so unterschiedlich wie an meiner alten Schule, aber doch unterschiedlicher, als ich erwartet hatte. Das Meer aus weißen Gesichtern war durch braune, schwarze und gelbe Prisen aufgepeppt. Aber abgesehen von der Hautfarbe hatten alle denselben Gesichtsausdruck: wachsam.
    Sie verstummten, als ich mit Rosalees fürchterlichen Gummistiefeln an ihnen vorbeiquietschte. Ich kam mir schrecklich albern vor – wie ein Clown, der bei einer Beerdigung auf einer blöden, überdimensionalen Hupe herumdrückt. Also lächelte und winkte ich jedem zu, an dem ich vorbeiging.
    Keiner lächelte oder winkte zurück.
    Aber ich ließ mich nicht unterkriegen. Ich hatte noch eine Menge Zeit, Freundschaften zu schließen.
    Ich fand das Sekretariat fast sofort, aber als ich reinging, musste ich mich sehr zusammenreißen, um nicht gleich wieder rauszurennen. Das Gefühl, auf einer Beerdigung gelandet zu sein, verstärkte sich.
    Hinter der riesigen Theke, die das Büro zweiteilte, stand ein kleines Grüppchen schwarz gekleideter Leute weinend um eine lebensgroße Glasstatue herum. Die Arme des Glasmanns waren ausgestreckt, seine durchsichtigen Handflächen lagen flach auf einem langen Fensterstreifen, der nicht annähernd so kristallklar war wie er. Zahlreiche blutähnliche, gelatineartige Flecken rauschten hypnotisch zu beiden Seiten des langen Fensters hinab, wie Gehirnmasse von zwei Riesen, denen man draußen vor der Schule den Kopf weggepustet hatte. Noch während ich hinsah, verschwanden die Flecken vom Fenster, als würde der Regen sie wegwaschen.
    Ich beschloss, die Flecken zu ignorieren. Wahrscheinlich gab es sie sowieso nur in meinem Kopf, wofür ich mich nicht bei meiner blöden, wirkungslosen Medizin bedanken würde. Ich konzentrierte mich auf die Statue, die mir irgendwie das Gefühl gab, zu Hause zu sein. Während meiner Skiferien in Finnland hatten Poppa und ich oft in Hotels
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