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Blauwasserleben

Blauwasserleben

Titel: Blauwasserleben
Autoren: Heike Dorsch
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Paradies«, so wurde in der Presse mit
Stefans Ermordung getitelt. Begreifen kann ich dies selbst nach sechs Monaten
noch nicht. Er kann nicht tot sein. Ich sehe sein Lachen, höre seine Stimme, er
ist nur kurz weg und kommt bald wieder. Wird mich in seine Arme schließen, mich
küssen. BAMM – und dann bin ich wieder in der
Realität. Bin alleine. Höre Wörter wie »Tod«, »Waffe«, »Mörder«, »Vergewaltigung«.
Die andere Welt ist schöner.
    Am Sonntagabend, in der Nacht, bevor ich zur Rekonstruktion
aufbrechen werde, lese ich alte SMS -Nachrichten von
Stefan, die ich noch auf meinem Mobiltelefon gespeichert habe:
    Hey Tahiti-Girl! Ich will ja auch an uns
glauben und weiß, dass vieles super passt. Bitte zeige mir, dass es wieder Spaß
macht, dich zu lieben. Ich werde das Meinige dafür tun. Liebe das Leben und
mich so, wie ich bin. Süße Träume …
    Es ist eine Nachricht vom August 2010. Aus einer Zeit, als es in
unserer Beziehung kriselte. Wir rauften uns wieder zusammen. »Tahiti-Girl« –
das war seitdem mein Spitzname, entstanden aus der Vorfreude auf den Pazifik.
Und nun wird unser Liebesleben durchleuchtet.
    Montag, 23. April
    Am Flughafen treffen sie nach und nach ein: der Richter,
der Staatsanwalt, meine Anwältin. An meiner Seite befinden sich der
unermüdliche SEK -Leiter, der die Tatwaffe in einem
Spezialkoffer dabeihat, und Joseph. Mit den beiden bin ich zum Airport von
Papeete gefahren.
    Ich bin nervös. Es fehlt noch Arihano. Nachdem wir eingecheckt haben
und durch die Sicherheitskontrolle sind, sehe ich vor der Maschine, die uns
nach Nuku Hiva bringen soll, ein parkendes Polizeiauto.
    Joseph sagt: »Ah, er ist schon im Flieger drin.«
    Eine Fehleinschätzung, denn in diesem Moment wird die Tür des
Polizeiwagens geöffnet – und Arihano steigt aus. Meine Knie wackeln, ich halte
mich am Eincheckpult fest, das sich neben mir befindet. Danach setze ich meine
Brille auf, denn ich will alles genau beobachten. Arihano wird von vier
Polizisten in schwarzen Overalls und Stiefeln begleitet. Er hat Handschellen an
und ist in Shorts und T-Shirt gekleidet. Vor sich hält er eine Tasche, mit
seinen Fesseln kann er sie nicht anders halten. Sein Gesicht sehe ich nicht. Die
fünf Männer stehen eine Ewigkeit auf dem Rollfeld, bis die Erlaubnis erteilt
wird, dass sie einsteigen dürfen. Die ganze Zeit betrachte ich ihn, mit
erhobenem Kopf. »Mutig«, sagen alle um mich herum.
    Doch als es dann so weit ist und ich das Flugzeug betreten soll,
denke ich, dass ich da nicht einsteigen kann. Ich kann dem mutmaßlichen Mörder
von Stefan nicht so nah sein, nicht in diesem engen Raum einer Maschine, nicht
über dreieinhalb Stunden. So lange dauert der Flug auf die Marquesas-Inseln.
Mindestens.
    Ich muss meine Beine schütteln, meine Hände, dann will ich es hinter
mich bringen: Die Stufen der Gangway springe ich regelrecht hoch und atme
schwer, als ich die Kabine betrete. In der Maschine erblicke ich nur seinen
Hinterkopf, er sitzt in der linken Reihe vorne am Fenster, umgeben von den vier SEK -Leuten. Sie stellen sicher, dass er sich nicht
zu mir umdrehen kann.
    Mehrere Reihen hinter ihm soll ich mich setzen. Immer wieder schaue
ich nach vorne. Ich kann meine Augen nicht von ihm abwenden. Ich will seine
sehen.
    Wir starten. Ich bin ganz ruhig. Denke, alles ist vollkommen normal,
hier startet nur ein Flieger. Darin befinden sich zwar Gendarmen in Zivil und
Uniform, ein Richter, ein Übersetzer, eine Anwältin und ein Staatsanwalt, aber
es gibt ja auch noch die normalen Fluggäste. Also ist das ein normaler Flug.
    Meine Anwältin, die neben mir ihren Platz hat, sagte, sie würde zum
ersten Mal auf die Marquesas fliegen. Weiterhin erfahre ich von ihr, was ich
schon vermutet habe: Laut Aussagen soll Arihano vom Dorf Hilfe bekommen haben.
Es bleibt die Frage: War alles Absicht, alles von Anfang an geplant gewesen?
Meine Anwältin erzählt schließlich, dass die Gefängnisse in Papeete überfüllt
seien, die Toiletten ohne Sichtschutz, das Essen schrecklich, mit Würmern drinnen.
Ich denke, das hat er verdient.
    Nach fast vier Stunden landen wir auf Nuku Hiva. Als ich vor Arihano
aussteige, frage ich mich, ob er mich beobachtet. Ich selbst hatte überlegt, ob
ich zu ihm hinschauen soll. Dann hatte ich mich dagegen entschieden. Später,
als er wieder in einem Polizeiauto sitzt, wird er
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