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Blauwasserleben

Blauwasserleben

Titel: Blauwasserleben
Autoren: Heike Dorsch
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und die grünen Berge der Nachbarinsel Moorea
schimmern wie Smaragde. So einsam ich mich auch fühle, ich kann die Schönheit
meiner Umgebung erkennen. Das gibt mir die Hoffnung, dass es weitergeht.
    Dienstag, 17. April
    Früh wache ich nach einer verdammt schlechten Nacht auf.
Ich fahre mit dem Bus nach Arue, zu dem lokalen Yachthafen nordöstlich von
Papeete, wo die Aquamante liegt . Ich stehe lange am Ufer und muss weinen; so viele Erinnerungen kommen hoch.
    Den ganzen Tag bleibe ich bei den Freunden, die auch Stefans Freunde
waren. Nichts hat sich seitdem auf dem Schiff verändert. Alles ist vertraut und
doch sehr weit weg. Ich bin wieder auf dem Wasser, habe aber nicht mehr den
Bootsalltag, den meine Freunde haben. Spüre ich Neid? Nein. Ich wünsche mir
nur, irgendein Alltag würde mich auffangen.
    Wir reden viel. Doch dann will ich wieder an Land, will allein sein,
es erschöpft mich, die ganze Zeit unter Menschen zu sein. Daphne und Vries
verstehen das nur zu gut. Ich verlasse die Aquamante und
wandere abermals die Meerpromenade von Papeete entlang. Im anliegenden Park
treffe ich einige Yachties, einer von ihnen öffnet mir ein Bier, das ich mir gekauft
habe. Wir kommen ins Gespräch. Derjenige, der meine Bierdose geöffnet hat,
fragt, ob ich auf einem Boot hier sei.
    Meine Antwort: »Diesmal nicht.«
    Ich will nicht ausführlicher werden, ihm nicht erzählen, dass ich
genauso wenig in einem Hotel wohne. Würde ich von meiner Geschichte erzählen,
von meinem Apartment in dem Gendarmeriekomplex, wüsste ich, was folgen würde.
Und statt Mitleidsblicke zu bekommen, bleibe ich lieber kurz angebunden. Soll
er doch denken, ich wäre arrogant. Ich gehe zurück zur Promenade, setze mich
auf eine Bank – und die Berge von Moorea erstrahlen heute im roten Glanz.
    Â 
    Â 
    Mittwoch, 18. April
    Der Termin bei dem Richter beginnt um neun Uhr morgens.
Erst um achtzehn Uhr werde ich sein Büro wieder verlassen. Der Richter –
schwarze Haare, helle Haut, schmales, längliches Gesicht mit wachen Augen –
geht mit mir noch einmal die ganze Geschichte durch. Die Klimaanlage läuft,
eine Sekretärin tippt alles mit, der Richter liest es zeitgleich am PC . Joseph, der Übersetzer, und meine Anwältin sind mit
dabei. Der Richter ist jung, ich schätze ihn auf Ende dreißig. Sehr
gewissenhaft und detailliert bearbeitet er diesen Fall. Er ist nun derjenige,
der beauftragt, wer verhört wird und welche DNA -Analysen
oder sonstige Spezialuntersuchungen in Frankreich durchgeführt werden sollen.
    Allein die Akten zu diesem »Fall« sind mehrere dicke Stapel hoch,
sie liegen alle auf seinem Schreibtisch, auch auf einer Ablage. Erst jetzt
begreife ich, was alles dokumentiert wurde und noch immer wird. Manche Menschen
wurden zum zweiten oder sogar dritten Mal verhört. Ich komme mir vor, als hätte
es die letzten sechs Monate nicht gegeben. Ich bin wieder mittendrin, habe
alles vor Augen.
    Dennoch fällt es mir schwer, die ersten Fragen zu beantworten. Mein
Geist sträubt sich noch dagegen, mich so genau zu erinnern. Doch nach und nach
befinde ich mich wieder im Wald mit dem Täter und sehe jede Geste vor mir,
spüre die Angst, die ich hatte. Der Richter stellt Fragen, die noch offen sind,
Fragen, zu denen Arihano andere Aussagen gemacht hat als ich. So erklärte er in
Bezug auf die Plastikplane, dass er sie mitgebracht hätte, damit ich mich
daraufsetzen könne. Ich sollte mir doch nicht meine Kleidung schmutzig machen.
Eine andere Variante: Er meinte, er hätte mich so lose gefesselt, damit ich
mich befreien konnte. Im Grunde ist die Situation so: Aussage gegen Aussage (in
meinem Fall) und Aussage gegen Schweigen (bei Stefan).
    Angeblich gibt es mehrere DIN-A 4-Seiten,
auf denen Arihano handschriftlich aufgeschrieben haben soll, was in der Nacht
passierte. Auf ihnen soll stehen, dass Stefan ihn an einem Fuß gefesselt,
diesen an einem Baum festgemacht und ihn dann vergewaltigt haben soll. Aus
Notwehr habe er, Arihano, Stefan erschossen. Ich muss lachen, als ich davon
erfahre. Dem Richter sage ich: »Außer der Wahrheit will ich keine wilden
Geschichten hören, keine Phantasie-, keine Horrorstorys.« Mit jeder Stunde, die
ich auf dieser Insel verbringe, spüre ich, dass ich ohne die endgültige
Wahrheit weiterleben muss.
    Eine andere Version ist, dass Arihano eine Ziege zu töten versuchte,
gestolpert sei, aus
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