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Blaulicht

Blaulicht

Titel: Blaulicht
Autoren: Nacke
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sie lange Zeit gedacht, dass jeder Erwachsene die Angewohnheit hat, ein glimmendes Stäbchen in der Hand oder im Mund zu halten; erst später bemerkte sie, dass dies offenbar nur für Griechen gilt. Jedenfalls war der erste Mensch, der sich im Lokal ihrer Eltern über die »dicke Luft« beschwerte, ein Deutscher.
    »Lassen Sie uns zum Thema kommen«, sagt sie. »Wir möchten Ihnen einige Fragen zu Herrn Gerlach stellen.«
    »Eine grässliche Geschichte. Eine ganz grässliche Geschichte. Wir sind alle erschüttert. Der Gerlach – ausgerechnet der Gerlach!«
    »Wie meinen Sie – ausgerechnet der Gerlach?«
    »Na ja, Herr Gerlach ist schließlich Musiklehrer«, sagt Frauenknecht und bemerkt im selben Moment, wie naiv seine Aussage klingt. »Ich meine«, ein wenig hilflos rudert er mit den Armen, »wer tut einem Musiklehrer so etwas an? Ich habe früher manche Mathematiklehrer gehasst. Und ich weiß, dass man als Lateinlehrer bei manchen Schülern per se unbeliebt ist. Aber der Gerlach – wissen Sie, der ist ein Idealist. Er hat ein Gespür für musikalische Talente und fördert sie, wo er nur kann. Sicher, er kann sehr streng sein, und seine Arbeitsweise stößt bei einigen Schülern und Kollegen nicht nur auf Zustimmung, aber seinetwegen ist niemals jemand durchgefallen. Natürlich gibt es immer gewisse Sympathien und Antipathien. Was mich betrifft, ich habe überhaupt nichts gegen ihn, im Gegenteil, Herr Gerlach ist eine ganz hervorragende Lehrkraft – nur seinen Geschmack für Tabakwaren könnte ich ihm übel nehmen – ekelhaftes tschechisches Kraut, und wenn zehnmal Cohiba auf der Packung steht!«
    »Und für so was fährt er extra nach Tschechien?«, fragt Kalz lakonisch.
    »Soweit ich weiß, hat er sich dort vor einigen Jahren ein Ferienhäuschen gekauft.«
    Für einen Moment sieht es so aus, als wolle der Oberstudiendirektor noch etwas sagen, widmet sich stattdessen aber einem Tabakkrümel, der auf seine lederne Schreibtischunterlage gefallen ist. Zoe bemerkt, dass der Mann plötzlich noch mehr zu schwitzen scheint als vorher.
    »Dann nähern wir uns der Sache wohl besser über dieses Mädchen«, wirft Kalz ein. »Sandra Kovács.«
    »Wenn ich den Namen Kovács höre, fällt mir als erstes die Mutter ein. Wir am HLH sagen manchmal: Es könnte alles ganz wunderbar laufen, wenn es die Eltern nicht gäbe. Da sind welche dabei, die würden am liebsten selber die Lehrpläne aufstellen, nach denen wir unterrichten sollen. Jedenfalls, die Frau Kovács – das ist eine Geschäftsfrau durch und durch. Spendet zwar jedes Jahr eine gewisse Summe für unseren Kulturetat, aber bildet sich ein, dass das gesamte Lehrerkollegium zu ihrem Personal gehört. Ich weiß nicht, wie ihre Töchter es geschafft haben«, Frauenknecht greift nach zwei blauen Jurismappen, schlägt eine davon auf, »sich den Weg zu einem musischen Gymnasium zu bahnen. Vielleicht durch Leistung. Sandra war eine extrem gute Schülerin, ebenso wie ihre Schwester Leonie. Bis sie in der zehnten Klasse abgestürzt ist: Leistungsabfall in allen Fächern außer in Musik, Teilnahmslosigkeit im Unterricht, unentschuldigtes Fernbleiben …«
    »Gab es dafür einen Grund?« will Zoe wissen.
    »Wahrscheinlich Drogen, ich weiß es nicht, wir vermuten es nur, aber auf jeden Fall sehr tragisch, diese Geschichte. Ihr damaliger Klassenleiter kann Ihnen sicherlich mehr über Sandra erzählen. Das ist Herr Franck. Allerdings ist er diese Woche auf einer Klassenfahrt mit seiner Sechsten.«
    »Eventuell gibt es auch einen Kollegen, der Herrn Gerlach ein wenig näher steht?«
    Frauenknecht zögert, hüstelt, als hätte er sich verschluckt. »Da müsste ich mich erst einmal umhören. Vielleicht am ehesten seine Fachkollegen. Wissen Sie, ein wenig, wie soll ich sagen, eigen ist der Gerlach schon. Mit dem wird man nicht so leicht warm. Aber er ist anerkannt und akzeptiert. Wie gesagt, ich werde mich umhören und mich wieder mit Ihnen in Verbindung setzen.«
    Kalz reicht ihm seine Karte. »Es wäre gut, wenn Sie uns auch die Namen von Mitschülern geben könnten, mit denen Sandra Kovács befreundet war.«
    Als er mit Zoe wieder im Freien steht, äußert er: »Irgendwann wird so etwas hoffentlich als Körperverletzung gelten.«
    »Was?«
    »Menschen mit diesem krebserregenden, stinkenden Gift einzunebeln.«
    Seine Miene lässt keinen Zweifel daran, dass er es ernst meint. Zoe ist mit ihren Gedanken wieder im Büro des Schulleiters; warum nur hat sie das Gefühl, dass Frauenknecht
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