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Blaulicht

Blaulicht

Titel: Blaulicht
Autoren: Nacke
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irgendwie herumgedruckst hat, sobald es um Gerlach ging? So, als gäbe es da etwas, über das er nicht sprechen wollte.
    Auf der Heimfahrt klingelt Kalz’ Handy. Aus der Freisprechanlage hört sie eine dunkle Männerstimme etwas über einen russlanddeutschen Zeugen namens Staufert sagen, der nun offenbar doch nicht mehr bereit ist, auszusagen. Kalz flucht leise, nachdem er die Austaste gedrückt hat.
    »Hören Sie, Frau –«
    »Sagen Sie einfach Zoe zu mir, Chef.«
    »Okay, würde es Ihnen etwas ausmachen, heute Nachmittag allein mit der kleinen Kovács-Schwester zu reden? Ich hab noch was bei den Kollegen vom Drogendezernat zu erledigen.«
     
    *
     
    Vier ebenso ernsthaft wie pflichtbewusst dreinblickende Männer stehen im Vorgarten. Ihre Oberkörper stecken in grauen Uniformjacken, die unterhalb der Schultern mit zwei senkrechten Reihen blinkender Metallknöpfe verziert sind, auch an den steifen, hohen Uniformmützen spiegelt sich die Morgensonne in je einem metallenen Knopf. An vier schwarzen Ledergürteln sind Futterale befestigt, darin stecken Säbel und baumeln den Männern bis ans Knie. Die vermutlich goldfarbenen Kordeln am Knauf mildern den Eindruck ihres martialischen Selbstzwecks und lassen Erinnerungen an Zeiten aufblitzen, in denen Kriege noch den Charakter von Inszenierungen hatten und der Tod, wie es scheint, weniger grausam, lapidar und schmucklos banal daherkam als heute. Die vier Männer haben Gewehre bei sich und stehen auf einem kurz geschorenen Rasen vor einem freundlichen weißen Haus, an dessen Rand ein junger Apfelbaum seine krakeligen Zweige in einen wolkenlosen Himmel reckt. Das Haus ist eine Zollstation an der bayerisch-tschechischen Grenze, die vier Männer in Uniform sind Grenzbeamte, die an irgendeinem heiteren Morgen des frühen zwanzigsten Jahrhunderts für ein Erinnerungsfoto posieren.
    »Na dann, auf die Herren Kollegen!«
    Der kräftige Mann in der dunkelgrauen Filzjacke prostet der gerahmten Fotografie auf seinen Knien mit der Bierflasche zu. Es handelt sich um eine Flasche mit Bügelverschluss, das Glas ist altmodisch schwer, in der Mitte des hellgelben Etiketts ist die leuchtend rote Silhouette eines Rebhuhns vor drei Kornähren abgebildet – Siegfried Gloßner hat sich mal wieder einen Kasten Zoigl aus Eslarn besorgt und ist an diesem frühen Julinachmittag genau das, was man einen rundum zufriedenen Mann nennen kann. Das mit den Kollegen ist natürlich nur im weiteren Sinne gemeint, denn Gloßner ist kein Grenzbeamter, sondern bei der Kripo Fürth – Morddezernat genau genommen, und noch genauer genommen ist er seit einer knappen Woche in Urlaub in der Oberpfalz – wieder einmal.
    Gloßner kommt heuer bereits das zehnte Jahr nach Lindau. Der Kollege Schmid bei der Fürther Kripo, der aus der Oberpfalz stammt, hatte ihn auf dieses Juwel aufmerksam gemacht – Ruhe, Landschaft und »a sauguats Bier« gebe es dort, hatte er dem frisch geschiedenen Gloßner versichert, und außerdem jenseits der nahen tschechischen Grenze Frauen, die einem Mann die schlechten Erinnerungen an Weibsbilder ganz schnell aus dem Kopf herausblasen könnten. Gloßner hatte darob zwar einen Hustenanfall bekommen, die ehemalige Zollstation tags darauf aber telefonisch angemietet, zwei Wochen später zum ersten Mal betreten und sich auf der Stelle in das Haus, die Gegend und die Menschen in diesem seltsam zeitvergessenen Landstrich verliebt. Jeder Tag, jeder Schritt, jede Erinnerung, die er an diesen Ort hat, ist freundlich, hell, bodenständig, eben genau so, wie er es mag. Selbst wenn es kalt ist oder wie aus Kübeln schüttet, hier macht es nichts, es gehört dazu. Es gehört dazu wie die unzähligen Kapellen und Marterln, die dich überall an das erinnern, was du bist – ein Geworfener nämlich! Nimm, was der Himmel, was das Land dir schenkt! Nimm und sei, nimm, was man dir gibt, und sei, was du bist! So einfach, so schlicht, so schwer zu leben – wenn man nicht gerade hier ist.
    Gloßner nimmt den letzten Schluck aus der Flasche und schaut den Wolken zu, die lustige Formationen bilden, ganze Diashows auf das darunterliegende Blau projizieren, wie sie es sonst nur für Kinder tun – ein dicker Pudel fliegt vorbei und verwandelt sich in eine Ente, einen Teufel mit einer Nase, die immer länger wird und sich schließlich im Wipfel einer Birke auflöst, in einen Drachen mit weit aufgerissenem Maul, aus dem ein Schwall von Rauch, Dampf oder weiß der Teufel was entweicht. Ein Drache?
    Verdammt!
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