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Blaulicht

Blaulicht

Titel: Blaulicht
Autoren: Nacke
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dem richtigen Schnitt nicht mehr auszusehen wie Katharina Charlotte mit Zahnspange und Brille, sondern wie Nastassja Kinski in der Reifeprüfung oder wenigstens wie Dorothea Grams aus der Parallelklasse. Das Risiko besteht darin, hinterher weder wie Nastassja noch wie Dorothea auszusehen, sondern einfach nur wie immer oder noch schlimmer: wie Mireille Mathieu mit Zahnspange, Brille und einem vollkommen missglückten Topfschnitt.
    Damals, kurz vor ihrem dreizehnten Geburtstag, hatte sie zum ersten Mal erlebt, wie sehr der Glaube an Wunder ins Wanken gerät, wenn man den falschen Friseur erwischt, und war mit einem Schal um den hängenden Kopf und völlig verheulten Augen hinter dicken Brillengläsern nach Hause geschlichen.
    Genau daran muss sie jetzt denken, als die junge Friseuse mit dem runden Spiegel hinter ihr steht und über das ganze Gesicht strahlt, »ist doch toll geworden, oder?«
    Katharina Charlotte Halbritter zieht die Mundwinkel zu einem verkrampften Lächeln in die Höhe, so ist es eben mit spontanen Eingebungen, sie hätte auch warten können, bis ihr Friseur wieder aus dem Urlaub zurück ist, aber nein, es musste ja sofort sein, auf der Stelle, selber schuld. Sie kauft noch ein Döschen extra starken Haarlack, zahlt und tritt aus dem angenehm temperierten Salon hinaus auf die Straße – an einen Wollschal ist bei der mörderischen Mittagshitze nicht zu denken. Sie wird aber auf gar keinen Fall vergessen, sich eine kleine Kollektion Seidentücher ganz oben in den Koffer zu legen, selbst wenn sie nur aufs Land fährt, um den alten Grummler zu besuchen.
     
    *
     
    Kaum haben Zoe und Kalz das Gymnasium betreten, kreuzt ein Mann in grauem Arbeitskittel ihren Weg und belehrt sie, dass Unbefugte auf dem Schulgelände nichts zu suchen haben.
    Zoe weicht nicht von ihrer Angewohnheit ab, personifizierten Widrigkeiten mit einem Lächeln zu begegnen.
    »Wir haben einen Termin bei Herrn Frauenknecht.«
    »So? Beim Direggder?« Der Mann bleibt misstrauisch. »Dann kummer S’ mied!« Er stapft vor ihnen die Treppe hinauf und klopft an eine Tür.
    »Herr Frauenknecht? Kenner Sie die Herrschaften?«
    Der Direktor versichert, dass alles in Ordnung sei, und schließt hinter dem Graukittel die Tür.
    »Entschuldigen Sie. Der Geggerle muss schon als Hausmeister zur Welt gekommen sein.«
    Er fährt sich ein paarmal über die gerötete, schweißperlende Halbglatze, auf der quer gekämmte Strähnen kleben, und Zoe kann sich die Frage, ob es denn bei diesen Temperaturen kein Hitzefrei gebe, nicht verkneifen.
    »Die goldenen Zeiten mit Hitzefrei ab der zweiten Pause sind spätestens seit Beginn der G8-Epoche vorbei. Höchstens den Nachmittagsunterricht können wir ausfallen lassen.«
    »Ab wieviel Grad?«
    »Das liegt mehr oder weniger in unserem Ermessen. Nehmen Sie doch Platz.«
    Frauenknecht bückt sich zur untersten Schublade seines Mahagonischreibtisches und zieht einen Aschenbecher hervor.
    Kalz hüstelt.
    »Bitte bedienen Sie sich, wenn Sie möchten«, sagt Frauenknecht und schiebt eine Packung Dunhill über den Tisch. »Ich halte es mit Ovid:   Video meliora proboque, deteriora sequor.   Ich sehe das Bessere und heiße es gut, dem Schlechteren folge ich. Oder, frei übersetzt: Ich weiß, was gut für mich ist, aber ich tue das, was mir schadet.« Er zündet sich eine Zigarette an und inhaliert.
    Hätte Zoe zu diesem Zeitpunkt schon gewusst, dass ihr Kollege nicht nur Nichtraucher, sondern ein ganz entschiedener Gegner des Tabaks ist, der als Mitglied von »Pro Rauchfrei e.V.« für eine bessere Welt kämpft, so hätte sie dem Altphilologen charmant lächelnd versichert, dass sie selbst zwar Gelegenheitsraucherin sei, aber heute leider ein starkes Kratzen im Hals verspüre, möglicherweise ein Anflug von Sommergrippe. Aber jetzt ist Kalz’ Implosion nicht mehr aufzuhalten. Er geht ans offene Fenster und atmet demonstrativ das ein, was man als frische Luft bezeichnen würde, wenn diese Stadt sich nicht seit Tagen gegen jede Brise wehrte.
    »Ich dachte, wenigstens an Schulen und Krankenhäusern kann man sich darauf verlassen, dass das Rauchverbot eingehalten wird.«
    »Sie vertragen den Rauch nicht? Bitte entschuldigen Sie.« Betreten drückt der Direktor seine Zigarette aus. »Natürlich ist das hier eine rauchfreie Schule. Aber was wäre das für eine Welt, die überhaupt keine Refugien mehr für Raucher hätte?«
    Zoe kann die erbitterten Schlachten, die ums Rauchen entbrannt sind, nicht verstehen. Als Kind hatte
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