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Blaulicht

Blaulicht

Titel: Blaulicht
Autoren: Nacke
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ob Sie für solche Leute null Verständnis haben, wie Sie sich ausdrücken. Mir sitzt der Staatsanwalt im Genick, auf der anderen Seite wird auch der Druck aus der Klinik nicht weniger, wenn sich Sandras Zustand weiter stabilisiert. Was das bedeutet, wissen Sie genauso gut wie ich, dass Mainkofen nicht gerade der nächste Weg ist, dürfte Ihnen ja bekannt sein. Ich sag Ihnen mal, inwiefern dieser Fall aus meiner Sicht sehr wohl von Interesse ist – er mag auf den ersten Blick eindeutig erscheinen, vielleicht ist er es auch. Vielleicht hat das Mädel einen Hass auf den Lehrer geschoben, vielleicht hat sie tatsächlich drei Jahre gebraucht, um diesen Hass in konkrete Bahnen zu lenken, nachdem sie sich mit Drogen Mut gemacht hat – alles möglich oder auch nicht. Was wir aber ganz genau wissen, ist, dass die Öffentlichkeit sehr sensibel auf alles reagiert, was mit Amok laufenden Schülern zu tun hat, eventuell spielt hier auch das Thema Missbrauch eine Rolle, ich muss Ihnen sicher nicht erklären, was das bedeutet. Ich für meine Person habe jedenfalls kein Interesse daran, dass die Presse sich den Fall Sandra zum Füllen des Sommerlochs ausspechtet. Weder das Opfer noch die Täterin sind momentan vernehmungsfähig, Gerlach wurde in ein künstliches Koma versetzt und Sandra laut letztem medizinischem Bericht ruhiggestellt. Vorerst bleibt also nur das Umfeld – Eltern, Lehrer, Schüler und natürlich Freunde. Die Kovács war früher Schülerin am Haßler-Gymnasium, an dem der Gerlach heute noch Lehrer ist. Oder eben bis gestern war. Was, wenn da irgendeine Art von Mobbing- oder eben Missbrauchsgeschichte dahintersteckt, von der noch mehr Schüler betroffen sind? Erinnern Sie sich? Da gab es vor ein paar Jahren schon mal etwas in der Richtung. Oder Drogenhandel an der Schule, oder was weiß ich. Sie werden heute also mit Frau Kandeloros das Haßler-Gymnasium aufsuchen und sich umhören, was man über den Gerlach so erzählt. Sie werden sich auch weiter mit der Familie Kovács befassen und versuchen, Klarheit über ein etwaiges Tatmotiv zu gewinnen. Und Kalz: Ich will, dass Sie es genauso gewissenhaft tun, wie ich es von Ihnen gewohnt bin, haben wir uns verstanden?«
    Martin Kalz nickt knapp. Seine Laune ist für diesen Tag endgültig ruiniert.
     
    *
     
    Irgendwo hat Dr. Billmeier einmal gelesen, dass Nürnberg, meteorologischen Statistiken zufolge, die windärmste Stadt Deutschlands sei. Den Grund dafür hat er vergessen, doch ist es ihm nicht schwergefallen, selbst einen zu finden. Nürnberg ist nicht aus einer Ansiedlung entstanden, Nürnberg wurde als Festung gegründet und ist bis heute undurchlässig geblieben, denkt er an solchen Sommertagen, an denen die Sandsteinmauer um die Altstadt lediglich das Miniaturabbild einer riesigen, unsichtbaren Wand ist, die über der Stadt zu einer Glocke zusammenwächst. Und obwohl Manfred Billmeier mit einer schier grenzenlosen Geduld gesegnet ist, hält ihn jetzt nur die Befürchtung, die Walküre, die sich auf dem Flur vor ihm aufgebaut hat, könnte einen Hitzekollaps erleiden und zu seiner Patientin werden, davon ab, zu einem Eskalieren der Situation beizutragen.
    »Sie haben offenbar nicht verstanden!« schnaubt diese Kovács, die sich ihre Rolle als Grande Dame dadurch aufbaut, jeden in ihrem Umkreis klein zu machen, und schreit zum wiederholten Male: »Ich bin die Mutter! Die leibliche Mutter! Und ich will auf der Stelle meine Tochter sehen!«
    Dr. Billmeier nimmt seine Brille ab, vorgeblich, um die Gläser zu reinigen, tatsächlich aber, um einen Schleier der Kurzsichtigkeit zwischen sich und die Frau im mokkafarbenen Hosenanzug zu schieben, deren Wimperntusche sich unterhalb der Tränensäcke zu Endmoränen im Miniaturformat gesammelt hat und dem Gesicht der Frau das Aussehen einer Geisterbahngestalt gibt.
    Von mir aus sind Sie die Kaiserin von China, die Bundeskanzlerin und die liebe Göttin in Personalunion , würde Billmeier gern erwidern, sagt aber stattdessen lapidar: »Und dies hier ist eine Intensivstation«, er wirkt dabei ganz auf die Sauberkeit seiner Brille konzentriert. »Der Zustand Ihrer Tochter ist außerordentlich labil, und außer dem Pflegepersonal hat niemand Zutritt. Sobald sich die Situation ändert, werden Sie von uns verständigt. Ich möchte Sie deshalb bitten, sich zu beruhigen und uns unsere Arbeit machen zu lassen. Herr – wie war noch mal Ihr Name?« Er wendet sich an den jungen rotblonden Polizisten, der mit unbewegter Miene vor der Tür
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