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Blauer Montag

Blauer Montag

Titel: Blauer Montag
Autoren: N French
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Herrgottsfrühe, während es draußen noch dunkel war, für Menschen, die sie nie zu Gesicht bekam, Mülleimer zu leeren und Teppiche zu saugen.
    Bei der vierten Person handelte es sich um Frieda Klein, und für sie war es weder Sonntagabend noch Montagmorgen, sondern irgendetwas dazwischen. Als sie den Platz betrat, schlug ihr der Wind mit voller Kraft entgegen. Um überhaupt etwas sehen zu können, musste sie sich erst einmal das Haar aus dem Gesicht streichen. Im Verlauf der letzten Wochen hatte sich das Laub der Platanen zunächst rot und dann goldgelb gefärbt, doch nun war es durch Wind und Regen von den Ästen befreit worden und umwogte Frieda wie ein Meer aus Blättern. Ihr ging es im Grunde nur darum, London für sich allein zu haben. Näher konnte sie der Erfüllung dieses Wunsches kaum kommen.

    Einen Moment lang blieb sie unschlüssig stehen. In welche Richtung sollte sie gehen? Nach Norden, über die Euston Road zum Regent’s Park? Der wäre tatsächlich menschenleer, denn selbst für die Jogger war es noch zu früh. Im Sommer ging Frieda manchmal mitten in der Nacht dorthin, kletterte über den Zaun und tauchte in die Dunkelheit des Parks ein, um zu beobachten, wie das Mondlicht auf dem Wasser des Sees glitzerte, oder um den Geräuschen aus dem Zoo zu lauschen. Heute Nacht aber wollte sie nicht so tun, als wäre sie gar nicht in London. Nach Süden zog es sie ebenso wenig. Dort würde sie über die Oxford Street nach Soho gelangen. An manchen Abenden verlor sie sich gern zwischen den seltsamen Kreaturen, die mitten in der Nacht noch dort ausharrten oder gerade erst aus ihren Löchern gekrochen kamen. Zwielichtige kleine Taxiunternehmen brachten einen rund um die Uhr nach Hause, verlangten dafür aber so viel, wie sie einem nur abknöpfen konnten. Polizisten rotteten sich zu Pulks zusammen. Lieferwagen wichen Fußgängerscharen aus. Außerdem gab es da noch die City-Maut, ganz zu schweigen von der ständig zunehmenden Zahl von Menschen, die weiter aßen und tranken, egal, wie spät es schon war.
    Nicht in dieser Nacht. Nicht an diesem Tag. Nicht jetzt, wo eine neue Woche gerade im Begriff stand, widerwillig in die Gänge zu kommen. Eine Woche, die gezwungen sein würde, dem November ins Auge zu blicken und sich auf Dunkelheit und Regen einzustellen, mit der Aussicht auf noch mehr Dunkelheit und Regen. Es war eine Zeit, in der man eigentlich in einen Winterschlaf versinken und erst im März oder April oder Mai wieder aufwachen sollte. Schlaf. Frieda hatte plötzlich das beklemmende Gefühl, von lauter schlafenden Menschen umgeben zu sein, die allein oder paarweise in Wohnungen, Häusern, Pensionen und Hotels lagen und sich als Träumende die Filme in ihren Köpfen ansahen. Zu diesen Menschen wollte Frieda nicht gehören. Sie setzte sich in Richtung Osten in Bewegung,
vorbei an den geschlossenen Läden und Restaurants. Einen Augenblick kam es in der Tottenham Court Road mit ihren Nachtbussen und Taxis zu einem Aufblitzen von Aktivität, doch dann war alles wieder ruhig, und Frieda hörte nur noch das Klacken ihrer eigenen Schritte, während sie weiterging, vorbei an anonymen Wohnblöcken, schäbigen Hotels, Universitätsgebäuden und auch ein paar einzelnen Häusern, die erstaunlicherweise überlebt hatten. Obwohl in diesem Viertel viele Menschen wohnten, fühlte es sich gar nicht danach an. Hatte es überhaupt einen Namen?
    Zwei Polizeibeamte in einem geparkten Streifenwagen sahen sie auf die Gray’s Inn Road zusteuern. Die beiden betrachteten sie mit gelangweiltem Interesse. Für eine Frau, die allein umherwanderte, war das hier nicht unbedingt eine sichere Gegend. Die beiden Männer hatten Schwierigkeiten, sie richtig einzuordnen. Eine Prostituierte schien sie jedenfalls nicht zu sein. Sie war nicht mehr ganz jung, vielleicht Mitte dreißig. Langes dunkles Haar. Mittelgroß. Ihr langer Mantel verbarg ihre Figur. Sie sah auch nicht aus wie eine Frau, die gerade von einer Party zurückkam.
    »Anscheinend hatte sie keine Lust, die ganze Nacht mit ihm zu verbringen«, meinte einer der beiden.
    Der andere grinste. »Ich würde sie in einer solchen Nacht bestimmt nicht aus dem Bett werfen«, antwortete er, während er das Fenster öffnete. »Alles in Ordnung, Miss?«, sprach er sie an, als sie vorbeiging.
    Sie schob nur die Hände ein wenig tiefer in die Taschen ihres Mantels und eilte weiter, als hätte sie nichts gehört.
    »Sehr charmant«, bemerkte einer der Beamten und wandte sich wieder seiner Arbeit
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