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Katrin Sandmann 02 - Kinderspiel

Katrin Sandmann 02 - Kinderspiel

Titel: Katrin Sandmann 02 - Kinderspiel
Autoren: Sabine Klewe
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    Im Grunde ist fast jeder gewaltsame Tod ein Erstickungstod. Dem Opfer bleibt im wahrsten Sinne des Wortes die Luft weg. Das Gehirn und die inneren Organe werden mit Sauerstoff unterversorgt, bis die Körperfunktionen schließlich zusammenbrechen. Wird die Sauerstoffzufuhr vollständig unterbrochen, tritt schon nach etwa zehn Sekunden Bewusstlosigkeit ein, und nach wenigen Minuten ist das Gehirn irreversibel geschädigt.
    Die Möglichkeiten, den Sauerstoffmangel herbeizuführen, sind nahezu unbegrenzt; Erwürgen, Erdrosseln, Erhängen und Ertrinken sind alles letztendlich Variationen des Erstickens. Auch manche Gifte, wie etwa Curare oder Zyankali, verschlagen einem schlichtweg den Atem. Und sogar an einem Lungenschuss erstickt man.
    Fast jede zweite Selbsttötung findet durch Sauerstoffentzug statt. Allerdings gibt es nur sehr wenige Morde, bei denen das Opfer erstickt wird. Wenn es um fremde Menschen geht, werden offensichtlich andere Formen des Tötens bevorzugt. Ersticken ist also die Todesart der Selbstmörder. Meistens jedenfalls.
    Er wusste alles über das Ersticken, hatte Nachschlagewerke der forensischen Medizin gewälzt, Fachzeitschriften studiert und sich im Institut für Rechtmedizin in den Hörsaal geschmuggelt, wenn eine Vorlesung zum Thema Erstickungstod anstand. Er hatte es sogar ausprobiert, an sich selbst, die Zeige- und Mittelfinger auf die Halsschlagadern gepresst, das Schwindelgefühl genossen und die sanfte, süße Euphorie, die der Sauerstoffmangel auslöst.
    Was das Ersticken anging, kannte er sich aus wie kein zweiter. Da machte ihm niemand etwas vor.

     
    Ein funkelnder Sternenteppich spannte sich über den Rhein, und der Mond tauchte den Fluss in gespenstisches Licht. Ein einsamer Steinkauz auf Beutejagd stieß einen gellenden Schrei aus. Vom anderen Ufer sah die hell erleuchtete Altstadt wie eine Ansammlung von Spielzeughäuschen aus, die jemand liebevoll aufgebaut hatte. Die Menschen, die dort in den Gassen spazierten oder mit einem Glas Bier vor einer Kneipe standen und tratschten, sahen jedoch weder den Mond, noch hörten sie den Steinkauz. Und auch der junge Mann, der im Gärkeller der Brauerei zugange war, bekam von alledem nichts mit.
    Mit sicheren, routinierten Handbewegungen rollte er den Wasserschlauch auf und deponierte ihn auf dem Fußboden. Dann griff er nach der Leiter, hievte sie über den Rand und platzierte sie auf dem Grund des tiefen, silberfarbenen Tanks. Er schnappte sich die Kerze, die vor seinen Füßen stand, und zündete sie an. Vorsichtig beugte er sich ein letztes Mal vor und atmete tief ein. Alles in Ordnung. Die Luft war frisch und sauerstoffhaltig. Das Wasser aus dem Schlauch hatte das Kohlendioxyd aufgewirbelt und der Ventilator in der Ecke des kleinen Gärkellers hatte es abgesaugt. Er warf einen Blick auf den CO⁲-Gas-Detektor an der Wand. Das Gerät zeigte 0,7 Volumen Prozent an. Ein guter Wert. Er konnte einsteigen. Die Kerze in der Hand, schwang er sich behutsam über den Rand und kletterte Stufe für Stufe die Leiter hinunter. Er setzte sie auf dem Grund des Bottichs ab und stieg nochmals hinauf, um den Eimer mit dem Putzzeug und den Schrubber zu holen. Dann stellte er das Putzzeug ebenfalls auf den Boden. Nur den Schrubber behielt er in der Hand. Mit einem kurzen Blick auf das kleine Gerät, das an seinem Gürtel befestigt war, vergewisserte er sich, dass wirklich alles okay war. Hier unten waren 0,9 Volumen Prozent Kohlendioxyd in der Luft. Auch das war noch in Ordnung.
    Er richtete sich auf und ließ seinen Blick kreisen. Kritisch musterte er die silberfarbenen Wände des Bottichs. Er seufzte. Die Ränder waren wie immer dunkelbraun verfärbt und dick verkrustet. Die Hefe hatte ihre Spuren hinterlassen. Als er beschlossen hatte, Bierbrauer zu werden, hätte er niemals gedacht, wie viel von dieser Arbeit aus Putzen, Schrubben und Blankwienern bestand. Seinen halben Arbeitstag verbrachte er damit, die Sudpfannen, Lagertanks und Gärbottiche zu reinigen. Trotzdem liebte er seinen Beruf, den Duft nach jungem, würzigem Bier, das verwinkelte, altmodische Brauhaus und seinen Arbeitsplatz mitten in der Düsseldorfer Altstadt zwischen teuren Boutiquen, argentinischen Restaurants, Antiquariaten und unzähligen Kneipen, aus denen bei schönem Wetter die Menschen auf die Straße quollen, so dass man das Gefühl hatte, sich in einem überdimensionalen Ameisenhaufen zu befinden. An solchen Tagen roch die Altstadt, als läge sie am Mittelmeer und nicht am
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