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Blauer Montag

Blauer Montag

Titel: Blauer Montag
Autoren: N French
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eines viktorianischen Romans. Gerüchte wurden laut. Es war unmöglich, ihre Quelle auszumachen, aber sie verbreiteten sich rasch durchs ganze Viertel. Es war der Obdachlose. Es war ein Mann in einem blauen Kombi. Es war der Vater. Man hatte ihre Kleidung auf einer Müllhalde gefunden. Man hatte sie in Schottland gesehen, und in Frankreich. Sie war definitiv tot, und sie war definitiv noch am Leben.
     
    Rosies Oma kam, um für eine Weile bei ihnen zu bleiben, und Rosie ging wieder zur Schule. Dabei wollte sie das gar nicht. Sie hatte Angst, dass die anderen sie anstarren und hinter ihrem Rücken flüstern, sich andererseits aber bei ihr einschleimen und um ihre Freundschaft bemühen würden, weil ihr diese große Sache passiert war. Sie saß an ihrem Pult und versuchte sich auf die Worte der Lehrkraft zu konzentrieren, spürte dabei jedoch die Blicke ihrer Mitschüler. Sie hat zugelassen, dass ihre kleine Schwester entführt wurde .
    Sie wollte nicht in die Schule, wollte aber auch nicht zu Hause bleiben. Ihre Mutter benahm sich nicht mehr wie ihre Mutter. Sie tat nur noch so, als wäre sie eine Mutter, während sie sich in Wirklichkeit längst anderswo befand. Ihr Blick irrte suchend umher. Immer wieder schlug sie die Hände vor den Mund, als versuchte sie etwas zurückzuhalten – eine Wahrheit, die andernfalls ungehindert hervorquellen würde. Ihr Gesicht wurde hager, verhärmt und alt. Abends, wenn Rosie längst im
Bett lag und beobachtete, wie das Scheinwerferlicht der vorbeifahrenden Autos über die Zimmerdecke zuckte, hörte sie ihre Mutter unten rumoren. Selbst dann, wenn alles dunkel war und der Rest der Welt schlief, war ihre Mutter noch wach. Ihr Vater hatte sich ebenfalls verändert. Er lebte jetzt wieder allein. Wenn er Rosie umarmte, drückte er sie viel zu fest. Außerdem roch er komisch – süß und sauer zugleich.
     
    Deborah und Richard Vine saßen zusammen vor den Fernsehkameras. Obwohl sie nach wie vor denselben Familiennamen führten, sahen sie sich nicht an. Tanner hatte ihnen geraten, sich möglichst kurz zu fassen: Sie sollten der Welt nur sagen, wie sehr sie Joanna vermissten, und an ihren Entführer – wer auch immer das sein mochte – appellieren, das Mädchen doch nach Hause gehen zu lassen. Sie sollten sich nicht scheuen, Gefühle zu zeigen. Den Medien würde das gefallen – vorausgesetzt, diese Gefühle hinderten sie nicht am Sprechen.
    »Lassen Sie meine Tochter zurück nach Hause!«, flehte Deborah Vine. Als ihr kurz die Stimme versagte, hielt sie eine Hand vor ihr neuerdings so hageres Gesicht. »Lassen Sie sie einfach wieder nach Hause!«
    In heftigerem Ton fügte Richard Vine hinzu: »Bitte geben Sie uns unsere Tochter zurück! Alle, die irgendetwas wissen, sollen bitte helfen!« Auf seinem blassen Gesicht leuchteten rote Flecken.
    »Was halten Sie davon?«, wandte sich Langan an Tanner.
    Tanner zuckte mit den Achseln. »Sie meinen, ob sie ehrlich sind? Ich habe keine Ahnung. Wie kann ein Kind auf diese Weise verschwinden – als hätte es sich in Luft aufgelöst?«
     
    Dieses Jahr gab es keinen Sommerurlaub. Ursprünglich hatten sie vorgehabt, nach Cornwall zu fahren und auf einem Bauernhof zu wohnen. Rosie wusste noch genau, wie sie es sich ausgemalt hatten: Auf den Feldern würde es Kühe geben und auf
dem Hof Hühner und sogar ein altes, fettes Pony, auf dem sie vielleicht reiten konnten, wenn die Besitzer es erlaubten. Natürlich wollten sie auch zu den nahe gelegenen Stränden. Joanna fürchtete sich vor dem Meer, sie kreischte jedes Mal, wenn eine Welle an ihre Knöchel klatschte, aber sie liebte es, Sandburgen zu bauen, nach Muscheln zu suchen und Eistüten zu mampfen, in denen oben Schokosplitter steckten.
    Stattdessen fuhr Rosie für ein paar Wochen zu ihrer Oma. Dabei wollte sie gar nicht weg. Sie wollte unbedingt zu Hause sein, wenn Joanna gefunden wurde. Sie befürchtete, Joanna könnte es falsch verstehen, wenn sie nicht da war. Womöglich glaubte sie dann, es wäre Rosie nicht wichtig genug gewesen, auf ihre kleine Schwester zu warten.
     
    Bei manchen ihrer Besprechungen blätterten die Detectives durch die Aussagen von Fantasten, einschlägig Vorbestraften und angeblichen Augenzeugen, von denen in Wirklichkeit keiner etwas gesehen hatte.
    »Ich glaube immer noch, dass es der Vater war.«
    »Er hat ein Alibi.«
    »Das haben wir doch schon besprochen. Er könnte zurückgefahren sein. Die Zeit hätte gerade gereicht.«
    »Kein Mensch hat ihn gesehen. Nicht
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