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Blauer Montag

Blauer Montag

Titel: Blauer Montag
Autoren: N French
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sich in verrauchten Pubs zu Grüppchen, um miteinander über ihre Urlaubspläne oder die Fußballergebnisse vom Samstag zu sprechen oder sich stöhnend über allerlei Beschwerden und Wehwehchen auszutauschen.
    Rosie hockte mit weit aufgerissenen Augen auf einem Sessel. Einer ihrer Zöpfe hatte sich halb aufgelöst. Die Polizistin, eine große, füllige und sehr freundliche Frau, saß neben ihr und tätschelte ihr die Hand. Aber Rosie konnte sich an nichts erinnern, sie wusste nichts und durfte auch nicht darüber reden: Worte waren gefährlich. Davon war sie überzeugt, obwohl ihr das niemand gesagt hatte. Sie wollte, dass ihr Vater nach Hause kam und alles wieder in Ordnung brachte, doch kein Mensch wusste, wo er sich aufhielt. Er war nicht zu erreichen. Ihre Mutter meinte, er sei wahrscheinlich irgendwo unterwegs. Rosie stellte ihn sich auf einer Straße vor, die sich endlos vor ihm erstreckte, bis sie sich in der Ferne unter einem dunklen Himmel verlor.
    Sie kniff die Augen fest zu. Wenn sie sie wieder aufschlug, würde Joanna da sein. Sie hielt die Luft an, bis ihr die Brust wehtat und das Blut in den Ohren dröhnte. Sie konnte die Dinge beeinflussen. Doch als sie die Augen schließlich wieder öffnete und das nette, besorgte Gesicht der Polizistin vor sich sah, weinte ihre Mutter immer noch und nichts hatte sich verändert.

     
    Am nächsten Morgen um halb zehn fand in dem Raum, der auf dem Polizeirevier von Camford Hill zur Einsatzzentrale erklärt worden war, eine Besprechung statt. Was zunächst eine hektische Suchaktion gewesen war, verwandelte sich in eine systematische polizeiliche Ermittlung. Der Fall bekam eine Nummer. Detective Chief Inspector Frank Tanner übernahm das Kommando und hielt eine Ansprache. Leute wurden einander vorgestellt und Schreibtische vergeben, was bei einigen zu Diskussionen Anlass gab. Ein Techniker installierte Telefonleitungen, und an den Wänden wurden Korkflächen angebracht. Im ganzen Raum herrschte eine Atmosphäre besonderer Dringlichkeit. Da war aber noch etwas anderes, das niemand laut aussprach, aber alle spürten: ein ungutes Gefühl in der Magengegend. In diesem Fall ging es nicht um einen Teenager oder einen Ehemann, der nach einem Streit verschwunden war. Hier ging es um ein fünfjähriges Mädchen. Siebzehneinhalb Stunden waren vergangen, seit sie zum letzten Mal gesehen worden war. Das war zu lange. Eine ganze Nacht, noch dazu eine kalte. Zum Glück hatten sie Juni und nicht November, aber trotzdem – eine ganze Nacht.
    DCI Tanner war gerade dabei, das Team über eine für den späteren Vormittag angesetzte Pressekonferenz zu informieren, als er unterbrochen wurde. Ein Beamter in Uniform hatte den Raum betreten. Er bahnte sich einen Weg nach vorn und sagte zu Tanner etwas, das keiner der anderen Anwesenden mitbekam.
    »Ist er unten?«, fragte Tanner. Der Beamte bejahte. »Ich spreche gleich mit ihm.«
    Tanner forderte einen anderen Detective mit einer Kopfbewegung auf, ihn zu begleiten. Gemeinsam verließen sie den Raum.
    »Der Vater?«, fragte der Detective, der Langan hieß.
    »Er ist gerade erst eingetroffen.«
    »Sind sie im Streit auseinandergegangen?«, erkundigte sich Langan. »Er und seine Ex?«

    »Das nehme ich an«, antwortete Tanner.
    »Meistens ist es jemand aus dem näheren Umfeld«, bemerkte Langan.
    »Was für eine erfreuliche Neuigkeit.«
    »Ich meine ja nur.«
    Mittlerweile waren sie vor dem Verhörraum angelangt.
    »Wie wollen wir vorgehen?«, fragte Langan.
    »Wir haben es mit einem besorgten Vater zu tun«, erwiderte Tanner, ehe er die Tür aufschob.
    Richard Vine hatte sich erhoben – oder gar nicht erst hingesetzt. Er trug einen grauen Anzug ohne Krawatte. »Gibt es etwas Neues?«, fragte er.
    »Wir tun alles in unserer Macht Stehende«, antwortete Tanner.
    »Also nichts Neues?«
    »Es ist noch zu früh«, erklärte Tanner, obwohl er genau wusste, dass das nicht stimmte. Das genaue Gegenteil entsprach eher der Wahrheit. Mit einer Handbewegung forderte er Richard Vine auf, sich zu setzen.
    Langan bezog an einer Seite des Raums Stellung, um den Vater während des Gesprächs beobachten zu können. Vine war hochgewachsen und hatte die schlechte Haltung eines Mannes, der sich wegen seiner Körpergröße unwohl fühlte. Sein dunkles Haar begann an den Schläfen bereits grau zu werden, obwohl er kaum älter als Mitte dreißig sein konnte. Er hatte dunkle, buschige Augenbrauen und war unrasiert. Sein blasses, leicht aufgeschwemmtes Gesicht ließ
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