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Blauer Montag

Blauer Montag

Titel: Blauer Montag
Autoren: N French
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eine Weile.« Karlssons war selbst überrascht, wie ruhig seine Stimme klang. »Dass es im Raum so warm ist, hat die Sache nicht besser gemacht.«
    Yvette Long gab ein Geräusch von sich, das sich durchaus als Zustimmung deuten ließ.
    Karlsson zwang sich, die fleckige, aufgedunsene Haut des Toten genauer unter die Lupe zu nehmen. Nach ein paar Augenblicken winkte er Long zu sich.
    »Sehen Sie mal«, sagte er.
    »Was?«
    »An seiner linken Hand.«
    Der vordere Teil des Mittelfingers fehlte, etwa ab dem Knöchel.
    »Es könnte sich um eine angeborene Missbildung handeln.«
    »Für mich sieht es eher so aus, als wäre ein Stück abgeschnitten worden und die Wunde nicht richtig verheilt«, meinte Karlsson.
    Long musste erst schlucken, bevor sie etwas erwidern konnte. Sie war fest entschlossen, den Kampf gegen die Übelkeit zu gewinnen.
    »Ich weiß nicht«, antwortete sie schließlich, »das ist schwer zu sagen. Es sieht in der Tat ein bisschen matschig aus, aber vielleicht ist der Grund einfach …«

    »Die ganz normale Verwesung«, führte Karlsson den Satz zu Ende.
    »Ja.«
    »Die wegen der Hitze besonders schnell fortschreitet.«
    »Den Kollegen zufolge lief der Heizstrahler auf Hochtouren, als sie eintrafen.«
    »Nach der Autopsie wissen wir mehr. Unsere Pathologen werden sich diesmal besonders beeilen müssen.«
    Als sie das Haus verließen, trafen gerade die Leute von der Spurensicherung ein, die mit ihren Scheinwerfern und Kameras, ihren Gesichtsmasken und Chemikalien immer so professionell und kompetent wirkten. Karlsson empfand ein Gefühl von Erleichterung. Sie würden das Grauen entfernen und den schrecklichen Raum mit seinen Wolken von Fliegen in ein gut ausgeleuchtetes Labor verwandeln, wo aus den Dingen Daten wurden, die man klassifizieren konnte.
    »Was für ein Abgang«, stellte er fest, während er mit Yvette Long ins Freie trat.
    »Wer zum Teufel ist der Mann?«, entgegnete sie ratlos.
    »Damit fangen wir an.«
     
    Karlsson überließ es Yvette Long, mit Maggie Brennan zu sprechen, und setzte sich zu Michelle Doyce in den Wagen. Er wusste über sie nur, dass sie einundfünfzig war, erst vor Kurzem nach einer Untersuchung, die hinsichtlich ihres Geisteszustandes keine eindeutigen Ergebnisse erbracht hatte, aus einer psychiatrischen Klinik entlassen worden war und seit etwa einem Monat in der Howard Street lebte, ohne dass sich die Nachbarn beschwert hatten.
    »Michelle Doyce?«
    Sie sah ihn an, antwortete jedoch nicht. Ihre Augen wirkten auffallend hell, fast wie die einer Blinden.
    »Ich bin Detective Inspector Malcolm Karlsson.« Er wartete. Sie blinzelte nur. »Von der Polizei«, fügte er hinzu.

    »Haben Sie einen weiten Weg hinter sich?«
    »Nein, aber ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen.«
    »Ich habe einen sehr weiten Weg hinter mir. Fragen Sie ruhig.«
    »Es ist wichtig.«
    »Ja, ich weiß.«
    »Der Mann in Ihrer Wohnung …«
    »Ich habe ihn bewirtet.«
    »Er ist tot, Michelle.«
    »Ich habe ihm die Zähne geputzt. Ich kenne nicht viele Leute, die das für ihre Gäste tun. Dafür hat er für mich gesungen. Sein Lied erinnerte mich an die Geräusche des Flusses in der Nacht, wenn der Hund zu bellen aufgehört hat und niemand mehr weint.«
    »Michelle, er ist tot. Der Mann in Ihrer Wohnung ist tot. Wir müssen herausfinden, wie er gestorben ist. Können Sie mir seinen Namen sagen?«
    »Seinen Namen?«
    »Ja. Wer er ist. Oder war.«
    Sie starrte ihn verwirrt an.
    »Warum wollen Sie von mir seinen Namen wissen? Sie können ihn doch selbst fragen.«
    »Michelle, es handelt sich hier um eine ernste Angelegenheit. Wer ist er?«
    Sie starrte ihn an: eine kräftig gebaute, blasse Frau mit unheimlichen Augen und geröteten Händen, die sie mit vagen Gesten durch die Luft gleiten ließ, wenn sie sprach.
    »Ist er in Ihrer Wohnung gestorben, Michelle? War es ein Unfall?«
    »Bei einem von Ihren Zähnen fehlt ein Stück. Ich mag Zähne, müssen Sie wissen. Ich habe alle meine alten Zähne unter dem Kopfkissen, nur für den Fall, dass sie kommen, und zusätzlich auch noch ein paar von anderen Leuten, aber nicht viele. Man findet nur ganz selten welche.«

    »Verstehen Sie, was ich Sie frage?«
    »Will er mich verlassen?«
    »Er ist tot.« Am liebsten hätte Karlsson das letzte Wort laut herausgeschrien, um damit wie mit einem Stein ihre Verständnislosigkeit zu zerschmettern, riss sich aber am Riemen.
    »Am Ende gehen sie alle. Obwohl ich mir solche Mühe gebe.«
    »Wie ist er gestorben?«
    Sie
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