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Blauer Montag

Blauer Montag

Titel: Blauer Montag
Autoren: N French
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begann Worte vor sich hinzumurmeln, die er nicht verstand.
     
    Chris Munster verschaffte sich einen ersten Eindruck vom Rest des Hauses. Das Ganze widerte ihn an. Es kam ihm überhaupt nicht vor wie eine polizeiliche Ermittlung. Hier ging es um Leute, für die keine Hoffnung mehr bestand, weil sie längst durch die Ritzen gerutscht waren. Der Raum im ersten Stock, den er gerade inspizierte, war voller Spritzen: Hunderten, nein Tausenden benutzter Spritzen, die alle auf dem Boden herumlagen, so dass er sich zunächst fragte, ob sie vielleicht irgendein Muster ergaben. Außerdem stieß er auch hier auf Hundescheiße, die aber größtenteils alt und schon ganz hart war. Das Mobiliar beschränkte sich auf eine dünne Matratze, die im mittleren Bereich scheußliche Flecken aufwies. Im Moment war es ihm völlig egal, wer den Mann unten umgebracht hatte, er wollte nur sämtliche Leute aus dem Haus schaffen, die Hütte anzünden und selbst das Weite suchen. Er sehnte sich nach sauberer Luft, je kälter, desto besser. Er fühlte sich schmutzig, und zwar äußerlich und innerlich. Wie konnten Menschen nur so leben? Der fette Kerl mit den rot geäderten Augen und der aschgrauen Haut eines Säufers, der kaum noch in der Lage war zu sprechen und sichtlich Schwierigkeiten hatte, mit seinen kleinen Füßen das Gewicht seines massigen Körpers zu balancieren. Oder der Dürre mit dem Hund, der ganz zerstochene Arme und ein schorfiges Gesicht hatte und sich ständig
kratzte, während er nervös grinsend auf- und abtigerte. War das sein Zimmer? Handelte es sich um seine Spritzen? Oder womöglich um die des toten Mannes? Das war vermutlich des Rätsels Lösung. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde sich herausstellen, dass der Tote ebenfalls ein Mitglied dieses Höllenhaushalts gewesen war. Oder gar der gottverdammte Hausherr. Man hatte diese Menschen einfach in dieses Loch gesteckt – hoffnungslose Außenseiter, mit denen die Gesellschaft nichts anzufangen wusste und für die sie auch kein Geld übrig hatte – und sie dort ihrem Schicksal überlassen. Nun musste die Polizei den Dreck wegräumen. Wenn die Öffentlichkeit das wüsste, dachte er, während er mit seinen schweren Stiefeln zwischen den Spritzen herumtrat. Wenn die Leute wüssten, wie manche Menschen lebten, und wie sie starben.
    K arlsson ging zur Fallbesprechung: Yvette Long und Chris Munster saßen schon an einem Schreibtisch und tranken Kaffee.
    »Kommt sonst noch jemand?«, wandte Karlsson sich an Yvette, die wortlos den Kopf schüttelte.
    »Die Autopsie ist für heute Nachmittag angesetzt«, berichtete Karlsson. »Wäre es nicht wunderbar, wenn wir es mit einem Herzinfarkt zu tun hätten?«
    »Aber Sie hatten doch den Verdacht, dass er erdrosselt worden sein könnte«, entgegnete Yvette.
    »Ich darf doch wohl noch hoffen, oder nicht?«, gab Karlsson zurück. »Und ich kann doch wohl davon ausgehen, dass der Verstorbene nicht als weiterer Hausbewohner identifiziert wurde, oder?«
    »Dazu liegen mir sämtliche Informationen vor«, antwortete Munster. Er griff nach seinem Notizbuch. »Lisa Bolianis. Um die vierzig, schätze ich. Eindeutig Alkoholikerin. Ich habe mit ihr gesprochen. Sie hat wenig Zusammenhängendes von sich gegeben. Angeblich ist ihr Michelle Doyce ein-, zweimal über den Weg gelaufen. Aber nie in Begleitung.« Er zog eine Grimasse. »Ich habe nicht den Eindruck, dass sich die Bewohner dieses Hauses oft zum Grillen treffen. Dann wäre da noch Michael Reilly – im November aus dem Gefängnis entlassen. Dreieinhalb Jahre wegen Besitzes und Verkaufs harter Drogen. Er sagt, er habe ihr ein paar Mal in der Diele zugenickt. In Begleitung hat er sie auch nie gesehen.« Er blickte wieder in sein Notizbuch. »Sie hat so allerlei gesammelt. Reilly zufolge ist sie mit Tüten voller Zeug zurückgekommen, das sie gekauft oder gefunden hatte, oder was auch immer.«
    »Das haben wir ja auch in der Wohnung gesehen«, warf Yvette Long ein.
    »Sonst noch jemand?«, fragte Karlsson.
    Munster sah erneut in sein Notizbuch.
    »Metesky. Tony Metesky. Aus dem war so gut wie gar nichts herauszukriegen. Er hat mich praktisch ignoriert. Der Mann hat definitiv einen Sprung in der Schüssel. Ich habe seinetwegen das Sozialamt verständigt, angeblich ruft mich bald jemand zurück. In seinem Zimmer herrschte – selbst nach dortigen Maßstäben – ein fürchterliches Chaos. Der Boden war mit Spritzen übersät, Hunderten von Spritzen.«
    »Was für eine Art von Heim ist das
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