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Blanks Zufall: Roman

Blanks Zufall: Roman

Titel: Blanks Zufall: Roman
Autoren: Christian Sidjani
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das nicht alles ist, was geschah, aber genug. Und das schwarze Loch erfüllt den Raum, aber es verschlingt die Anwesenden nicht. Es eint sie jetzt.
     
    DER GERUCH IN einer Wohnung erinnert immer an den Bewohner, mehr noch, der Geruch ist das auf einen Sinn konzentrierte Abbild dessen. Als Marcus in Annas Wohnung tritt, kehren mit ihrem Geruch auch viele Erinnerungen wieder, nicht nur die der letzten Zeit, sondern auch von vor zehn Monaten, als alles mit ihr so neu und unerforscht war, und ohne die Schatten, die die Langeweile und das Kiffen in die Beziehung brachten. Hauptsächlich fühlt Marcus sich nun an die erste Zeit erinnert und er ist zu aufgewühlt, um nicht davon berührt zu sein, wieder sich zu fragen, was wäre, wenn wir doch zusammen bleiben.
    Als abzusehen war, dass Marcus die Wohnung seiner Mutter wieder verlassen wollte, nahm ihn seine Großmutter beiseite. Sie sagte, sie müsse mit ihm privat sprechen, im Schlafzimmer, und auf der linken Matratze des Doppelbetts setzten sie sich nebeneinander. Claudia fragte nicht einmal, warum, vielleicht wusste sie, was folgte, kannte ihre Mutter nur zu gut (sie war schließlich auch eine Krankenschwester gewesen in ihrem Leben vor der Rente).
    „Du stehst unter Schock“, stellte Irmi fest, als sie mit dem Zeigefinger und Daumen ihrer rechten Hand, vorsichtig und beinahe nicht zu spüren, die Lider seines rechten Auges etwas auseinander zog, um seine Pupillen besser zu betrachten. „Haben sie dir das im Krankenhaus etwa nicht gesagt, mein Junge?“ Sie ließ ihn wieder los.
    „Sie haben gar nichts zu mir gesagt“, erwiderte er. „Wir waren so mit Frank beschäftigt, dass ich mich gar nicht untersuchen ließ.“ 
    Irmi schüttelte langsam den Kopf.
    „Weißt du, was du brauchst, mein Junge? Treffe dich mit jemanden, der dir nahe steht. Bleib' nicht allein heute Nacht, hörst du? Das wird dir nicht gut tun.“
    Und Marcus dachte sofort an Anna, und dachte nicht daran, dass es vorbei war, weil er es so wollte. Jetzt waren die Karten wieder neu gemischt worden, und die Pik Dame lag nun an einer anderen Stelle, und das Herz As hatte seine Bedeutung gewechselt. Alles auf Anfang. Und so sitzt er nun bei seiner Ex-Freundin auf dem Sofa, der Fernseher läuft, der leichte Geruch nach gerauchtem Hasch mischt sich mit ihrem so vertrauten Duft.
    Sie trinken Kaffee, denn Anna möchte ihn nicht alleine lassen, wenn Marcus nicht schlafen kann. Zuvor bot sie ihm einen Joint an, doch er lehnte ab. Marcus fühlt, zum ersten Mal, wie es ihm scheint, und er möchte diese neu gewonnene Fähigkeit nicht gleich wieder verfremden. Aus einer perversen Laune seiner Natur heraus will er jedes Bild von gestern Nacht, das sich ihm aufdrängt, betrachten.
    Marcus trinkt Kaffee. Mehr nicht. Und Anna ist nicht pikiert wie sie es war, bevor er die Tüte Gras vor ihre Füße warf. Er glaubt, sie versteht ihn, den Abgrund, in den er blickt. Vielleicht ist sein Erlebnis nun eine Geschichte, die sie sich selbst erlügen würde.
    Es läuft die Wiederholung eines Films, den die beiden zu Beginn ihrer Beziehung schauten, und das Vertraute und das Neue verbinden sich zu der eigenwilligen Atmosphäre, in der sie nah nebeneinander sitzen, sein linkes Bein berührt ihr rechtes, und in der nichts weiter geschieht. Marcus hält seinen Kaffeebecher in beiden Händen, Anna raucht eine Zigarette. Es ist das banale Bild einer ereignislosen Nacht und trotz des Koffeins schleicht sich eine beruhigende Müdigkeit in seinen Körper.
    „Lass uns ins Bett gehen“, sagt Anna schließlich. Da bemerkt Marcus erst, dass er seine Augenlider schloss.
    „Ja“, antwortet er träge. Das nächste, was er bewusst erlebt, ist er mit Anna im Bett, beide noch vollständig bekleidet. Und ihr Kopf liegt auf seiner Brust und die Schwere hilft beim Atmen. Er möchte schlafen, er fühlt diesen dunklen Tunnel, der in Traumwelten führt. Und am Ende wartet ein Licht, ein beleuchtetes Bild, eine dunkle Gasse, der Hamburger Berg und vor dem Fenster des 'Raschinskis“ liegt eine Gestalt, leblos, so tot wie alle um ihn herum. Aber Marcus erkennt nicht, wer es ist. Wenn es nur heller wäre, wenn die Journalisten nur ihre Blitzlichter benutzten, dann würde er sehen, würde er erblicken, wen er vergaß letzte Nacht. Jemand war noch da, ein Freund. Ein Toter.
    Marcus schreckt hoch, was Anna erschreckt, die ihren Kopf anhebt, sich zur Seite rollt und leise aufstöhnt. Sie schlief schon, vielleicht, aber das ist nicht wichtig. Wichtig
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