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Blanks Zufall: Roman

Blanks Zufall: Roman

Titel: Blanks Zufall: Roman
Autoren: Christian Sidjani
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ich überhaupt von ihr. Letztes Jahr musste sie feststellen, dass sie dem Terror gar nicht entkommen kann.  Manchmal glaubt sie, das liegt an der Ausrichtung ihres Glaubens, dass dem Jüdischen etwas innewohnt, das Gewalt anzieht. Was für ein Schwachsinn, sage ich dann.“
    Als Efrat nach Israel zieht, zieht sie in das Haus ihrer Tochter, das sie sich mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern kaufte. Es wird ein einfaches Leben, in dem sie ihre Religion neu kennen lernt, in Synagogen und mit neuen Freundinnen. Ein Leben, in dem sie eine gute Großmutter ist, und tagein tagaus kocht und liest und Hebräisch lernt und einfach lebt. Efrat braucht nicht mehr als ihre Familie und sie kann wieder von sich behaupten, wie sie es in den ersten Briefen aus Israel betont, dass sie ein zweites Glück fand, nachdem ihr Mann starb, dass Gott ihr einen angenehmen Lebensabend beschert, weil sie es verdient.
    Als Galileas älteste Tochter Mahrun beginnt, einen arabischen Mann zu treffen, ändert sich nichts an dem Glück, aber an der Art, wie dieses Glück aufrecht erhalten wird. In ihrem Haus ist Fahmut willkommen, in ihrer Straße nicht. In der Universität Jerusalem studieren und lernen sie zusammen, aber sie werden von vielen gemieden. Und die Nachbarn reden. Doch für die Liebe, für das Glück ihrer Kinder, erträgt Galilea all das Gerede, es verkommt zu einem Hintergrundrauschen, dem sie sich alle nicht ergeben.
    Es ist der 2. April 2009, als Efrats Enkelin Mahrun und deren Freund in ein Café gehen, um das zu tun, was alle Pärchen an freien Tagen, an denen die Sonne scheint, tun wollen. Sie unterscheiden sich eigentlich nicht, nicht für sich, Liebe ist Liebe, aber für alle anderen besteht da der große Unterschied. Ob Mahruns Partnerwahl für den Anschlag verantwortlich ist, will Efrat nicht glauben. Es ist der alltägliche Wahnsinn, der in Form eines Koffers am Tresen absichtlich vergessen wird.
    Efrat möchte die beiden von dort abholen, weil sie für das Kino verabredet sind. Es läuft ein amerikanischer Film. Und Efrat erreicht das Café, als die Bombe explodiert, die Flammen unter gewaltigem Druck nach außen platzen, Scheiben zerbersten und Efrat und andere Fußgänger von einer unsichtbaren Kraft erfasst zu Boden stürzen. Es brennt noch im Inneren des Cafés, als Efrat hinein läuft mit der Hoffnung, dass ihre Enkelin nicht mehr da war, als es geschah. Sie denkt in diesem Augenblick nur an Mahrun, der Freund schein verdrängt oder gleichgültig, und sie wirft es sich später vor, dass sie nicht gleich an beide dachte.
    Efrat denkt erst an beide, als sie ihre halb verkohlten, einzelne Glieder vermissenden Leichname in den Trümmern entdeckt. Das ist der Moment, als die Polizei und die Notarztwagen eintreffen und Efrat gar nichts mehr denkt und zusammen bricht.
    Die Tage danach sind verschwommen, erst drei Wochen später schreibt sie Irmi den nächsten Brief, in dem sie von allem berichtet. „Ich fühle mich, als hätte jemand anderes die Kontrolle über mein Leben, obwohl er gar nicht mehr anwesend ist, und er hat diese Kontrolle unrechtmäßig erworben. Wie ein brutaler Herrscher, der ein Land mit Krieg erobert und danach das Volk unterdrückt, unterdrückt mich nun das Erlebnis, das dieser Jemand auslöste. Sein Schatten und Vermächtnis unterdrücken mein Leben, Irmi. Es unterdrückt das Lachen, das Lieben, die Sinne, einfach alles, das zum Glück führt.“
    Und du kannst dich entscheiden, denkt Marcus, nachdem seine Großmutter aus dem Brief zitierte, ob du dich ergibst oder gegen ihn auf begehrst.
     
    DIE GESCHICHTE ÄNDERT, trotzdem sie so schrecklich klingt wie seine eigene, nichts an letzter Nacht, und doch fühlt er sich besser, nein, besser ist das falsche Wort, Marcus fühlt sich verstanden. Er ist nicht der Einzige, nicht allein mit seinem Leid. Das begriff er schon vorher, aber jetzt, da alle, nachdem Efrats Geschichte erzählt im Raume nachklingt, nicht pikiert und angsterfüllt nach einem anderen Thema suchen, sondern genau dort weiter suchen, wo die Wunde zugefügt wurde, nämlich im Unvorhersehbaren und dem Chaos, da weiß er es. Marcus ist nicht allein und sie werden verstehen, sie werden sich nicht abwenden, wenn er die Geschehnisse der letzten Nacht berichtet, sie wollen es hören, wie Laura ihn bat, zu erzählen, und das war vielleicht der Grund, warum Irmi von Efrat erzählte.
    Eines führt stets zum anderen, ob unvorhergesehen oder nicht, und so erzählt Marcus alles, was ihm noch einfällt,
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