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Blankes Entsetzen

Blankes Entsetzen

Titel: Blankes Entsetzen
Autoren: Hilary Norman
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Familie und dem Rest der Welt den innigen Glauben an den Mythos des heiligen Christopher Wade lassen.
    Für Jack.

3.
    Einigen Menschen fiel es schwer, Robin Allbeury zu vertrauen.
    Er war ein wohlhabender, erfolgreicher Rechtsanwalt – Inhaber einer eigenen Kanzlei in Bedford Row und eines luxuriösen Penthouse im Shad Tower, einem schimmernden Hochhaus südöstlich der Tower Bridge – und im Großen und Ganzen ein glücklicher Mann.
    Allbeury war ein eleganter Junggeselle von zweiundvierzig Jahren, nicht direkt gut aussehend, aber unbestreitbar attraktiv, mit dunklem, von Silberfäden durchsetztem Haar und warmen braunen Augen. Er war ein Förderer der Kunst, doch in seinem persönlichen Geschmack rangierte das Kino höher als das Theater, ein Thriller über der »gehobenen« Literatur, Jazz über der Oper. Und Stille über dem Jazz. Ruhige Abendessen über Partys. Freundschaften zu Frauen über denen zu Männern. Und sein Single-Leben über der Ehe.
    »Du weißt nicht, was du verpasst«, hatte David Lerman, einer seiner Partner in der Kanzlei, der mit seiner zweiten Frau eine glückliche Ehe führte, mehr als einmal zu ihm gesagt. »Julia hat mein Leben verändert.«
    »Julia ist wundervoll«, stimmte Allbeury zu, »aber du warst ein Häufchen Elend, bevor du ihr begegnet bist. Ich hingegen bin ein glücklicher Junggeselle.«
    »Behauptest du.« Lerman war nicht überzeugt.
    »Ja, behaupte ich.« Allbeury lächelte.
    Sein juristisches Fachgebiet war die Ehe, obwohl er als Chef seiner eigenen Kanzlei inzwischen wählerisch war, welche Fälle er selbst übernahm. Den Großteil der ehelichen Rechtsstreitigkeiten überließ er entweder Lerman oder einem seiner anderen Kanzleipartner, während er selbst die Zügel in der Hand hielt und sich Zeit für seine »andere Arbeit« nahm: In seiner freien Zeit traf er sich mit Frauen, die sich in unglücklichen Ehen gefangen fühlten, um ihnen zu helfen. Frauen, die aus finanziellen oder anderen Gründen keinen Ausweg sahen. Dabei kamen sie selten selbst auf ihn zu – in der Regel war es Allbeury, der auf diesem oder jenem Weg von ihren Lebensumständen erfuhr und ihnen seine Dienste anbot.
    Er hatte sich im Lauf der Jahre ein Netzwerk vertrauenswürdiger Informanten aufgebaut – eine bunt gemischte Truppe, die sich über den gesamten Großraum London verteilte: ein Telefonist in einer Notrufzentrale, ein desillusionierter Sozialarbeiter, ein Bewährungshelfer, ein Polizist, eine Krankenschwester, ein Gastwirt, ein Pfarrer aus West-London.
    »Wenn herauskommt, dass ich das an dich weitergegeben habe«, lamentierte der Sozialarbeiter bei einem der ersten Treffen mit Allbeury, »bin ich am Arsch.«
    »Von mir erfährt es keiner«, versicherte Allbeury.
    In besagtem Fall ging es um eine Frau, die unter der extremen seelischen Grausamkeit ihres Mannes litt. Die Nachbarn hatten wegen ihrer Schreie und ihrem Flehen, ihrem Weinen und Schluchzen den Sozialdienst gerufen, doch sie wies keine sichtbaren Blutergüsse oder Wunden auf, die auf Misshandlungen hindeuteten, und angesichts ihrer Weigerung, eine offizielle Meldung zu machen, hatte der Sozialarbeiter keine andere Wahl gehabt, als sich zurückzuziehen.
    »Ich habe das Gefühl, eine zutiefst verzweifelte Frau im Stich gelassen zu haben.«
    »Keine Chance, dass sie ihn verlässt?«, fragte Allbeury.
    »Sie ist längst viel zu mutlos, um es überhaupt zu versuchen«, sagte der junge Mann. »Ihr Mann lässt sie ohne seine Unterschrift nicht mal einen Scheck einlösen, gibt ihr keine Karte für den Geldautomaten, ja, er schreibt ihr vor, wen sie sehen darf und wen nicht.«
    »Glaubst du, es besteht Selbstmordgefahr?«, fragte Allbeury.
    »Ich würde sagen, es ist zumindest nicht ganz auszuschließen.«
    Allbeury blieb einen Moment stumm.
    »Erzähl mir alles, was du weißt.«
    Auf diese Art arbeitete er meistens: Er ließ sich von seinem Informanten alles berichten; dann setzte er seine eigenen Methoden ein, um die Lebensumstände der Frauen zu verifizieren. Falls er dann das Gefühl hatte, er könne möglicherweise helfen, nahm er über eine dritte Person Kontakt zu der Betreffenden auf, um ein erstes Treffen zu arrangieren – in der Regel an einem öffentlichen Ort, außerhalb ihres eigenen Umfelds. Einige Frauen schraken ängstlich zurück, doch häufig waren sie neugierig und verzweifelt genug, um zumindest diesen ersten Schritt zu wagen.
    Im Allgemeinen mochten und vertrauten sie Allbeury, der ein einfühlsamer und
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