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Blamage!

Blamage!

Titel: Blamage!
Autoren: Christian Saehrendt
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hatten, mit der ausdrücklichen Ermahnung, dabei nicht an einen bestimmten Gegenstand zu denken – im Ergebnis mussten die Probanden aber besonders häufig an den »verbotenen« Gegenstand denken und lösten ihre Aufgaben dadurch erheblich schlechter als Vergleichspersonen ohne »Denkverbote«. Ihre Reaktionszeiten waren länger, die Fehlerquote höher als die der Freidenker. In anderen Versuchen, die sich mit tabuisierten und »peinlichen« Themen wie Sex oder Vorurteilen beschäftigten, wurden Probanden beispielsweise dazu aufgefordert, »jetzt nicht an Sex zu denken«. Dabei stieg ihr Erregungsniveau kurioserweise jedoch genauso stark an wie bei der ausdrücklichen Aufforderung , an Sex zu denken. Ähnlich war es bei Vorurteilen gegenüber bestimmten sozialen Gruppen. Wer sich bewusst damit befasste, begegnete Angehörigen dieser Gruppen mit großer Befangenheit, suchte unterschwellig nach Anhaltspunkten für eben diese Vorurteile oder mied jene Personen lieber. Manfred Spitzer, Direktor der Psychiatrischen Uniklinik Ulm, der diese Versuche in seinem Buch Aufklärung 2.0 interpretiert, macht neuronale Bahnungseffekte dafür verantwortlich. Das bedeutet, wenn wir uns gedanklich damit beschäftigen, eine bestimmte Handlung nicht auszuführen, nicht an eine bestimmte Idee zu denken oder ein bestimmtes Wort nicht auszusprechen, werde genau dies im Gehirn repräsentiert und stehe auf Abruf bereit. Nun muss sich das bewusste Denken heftig anstrengen, das Fehlverhalten, das quasi nun schon auf Knopfdruck abgerufen werden könnte, aktiv zu vermeiden. Sobald wir aber gestresst oder abgelenkt werden, tritt dann genau dieser Fall ein. Paradox: Inhalte und Meinungen, die wir bewusst überwinden, die wir ausdrücklich nicht denken wollen, werden also automatisch aktiviert und lauern nur darauf, in Momenten der Ablenkung oder Erschöpfung hervorzutreten. Sind wir also nicht einmal in der Lage, unsere eigenen Gedanken zu kontrollieren? Zum Glück, so Spitzer, habe sich die Gehirnforschung inzwischen dieses Problems angenommen. 11
    Peinlich, peinlich – Das Peinlichkeitsempfinden
    Fauxpas finden stets in Gesellschaft statt, Peinlichkeit und Scham werden dagegen empfunden, wenn etwas passiert, was nicht mit dem Bild übereinstimmt, das wir selbst und das andere von uns haben. In diesen Situationen empfindet der Betroffene eine starke Isolationsfurcht und glaubt, seine soziale Rolle, sein Image oder sein Status sei nun in Gefahr. Die Nichterfüllung einer verinnerlichten sozialen Norm oder einer gesellschaftlichen Erwartung wird zur kleinen Katastrophe, wobei sich der peinlich Berührte oftmals überkritisch in die Beobachter hineinversetzt, obwohl diese den Vorfall meist als weit weniger dramatisch betrachten, ihn vielleicht gar nicht bemerkt haben oder aus Höflichkeit so tun, als sei »nichts« passiert. Ein Peinlichkeitserlebnis ist eine starke Emotion. Doch was geschieht dabei eigentlich genau?
    Wer etwas als peinlich empfindet, schämt sich. Interessant ist die Tatsache, dass das Peinlichkeitserleben so gut wie immer mit Emotionen verbunden ist, ja, dass in vielen Fällen allein schon das Auftauchen von Emotionen als peinlich bewertet wird: Jeder Gefühlsausbruch ist per se peinlich, denn er verrät, wie schon das Wort sagt, den Ausbruch von etwas Unangenehmem, das außer Kontrolle zu geraten scheint: Wut, Angst, Ekel. Aber selbst positive Emotionen wie tiefe Verehrung, Liebe, Rührung werden als peinlich wahrgenommen und im Rahmen einer erstrebenswerten Selbstkontrolle tunlichst unter Verschluss gehalten.
    Das bei peinlichen Situationen mobilisierte Schamgefühl hat eine wichtige Funktion sowohl im Prozess der Selbstwerdung als auch der Gruppenbildung. Wie ein Scharnier verbindet das Peinlichkeitsempfinden das Selbst mit der Gesellschaft. Wo es fehlt, ist letztlich der Zusammenhalt der Gruppe gefährdet. Denn das Gefühl der Peinlichkeit lässt sich als eine Art Aggressivitätspuffer begreifen: Der psychische Schmerz der Verletzung, der Beleidigung oder Missachtung, den man anderen und sich selbst mit einer Blamage zufügen könnte, führt dazu, dass man gestische Rohheiten und Beleidigungen, die vom Gesetz her noch als freie Meinungsäußerungen gedeckt wären, unterlässt – ein wichtiger Beitrag zum sozialen Frieden, der Eskalationen und verbittertes Beleidigtsein durch Taktgefühl und
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