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Blamage!

Blamage!

Titel: Blamage!
Autoren: Christian Saehrendt
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von sich selbst. Es bringt sich selbst zu Bett, ermahnt sich, bestraft oder tröstet sich. Diese spielerisch erprobte und erlernte Fähigkeit, sich mit den Augen anderer zu sehen, ist ein wichtiger Schritt zur eigenen Identität. Als Erwachsene spielen wir im Umgang mit anderen in Sekundenschnelle unsere Aktionen und die Reaktionen der anderen durch. Dabei versetzen wir uns, wie beim Schachspiel, in die Perspektive des Gegenübers, um seine Züge in unser Handeln mit einzubeziehen. Diese Vorausberechnung der eigenen und der »gegnerischen« Züge lernen wir in Kindheit und Jugend. Wichtige Schritte bei der Herausbildung eines individuellen Schamgefühls werden in Phasen gemacht, in denen starke körperliche Veränderungen vor sich gehen, etwa zu Beginn des Schulalters und zwischen dem zehnten und dem dreizehnten Lebensjahr. Das Schul- und Kindergartenkind zeigt sich beispielsweise nicht mehr nackt, wenn alle anderen bekleidet sind (dem Kleinkind ist dies noch egal) oder es möchte beim Toilettengang nicht mehr von anderen gesehen werden. Fehlendes Schamgefühl gilt bereits in diesem Alter als sozial auffällig.
    In der Pubertät steigert sich noch einmal das körperbezogene Peinlichkeitsempfinden, weil der Körper in dieser Lebensphase raschen Veränderungen unterworfen ist: Er wächst rasch und ungleichmäßig, die Nase kann sich markant aus dem Gesicht erheben, die Arme wachsen schneller als der Rumpf, und bei manchen wirkt der Körper plötzlich lächerlich langgestreckt. Der britischen Schauspielerin Keira Knightley erging es nach einem Wachstumsschub ganz ähnlich: »Als ich zwölf war, wuchs ich sehr schnell, also waren meine Hosen immer nur knöchellang. Damit wurde ich dann aufgezogen.« 13 Andere nehmen rasch an Gewicht zu, Haare sprießen an Stellen, wo bisher noch keine waren, bei Mädchen stellen sich weibliche Proportionen und die Monatsregelblutung ein, Jungs wirken bisweilen spillerig wie ein »Spargeltarzan« oder, bei niedrigem Muskeltonus, hängermäßig und schlaff. Als irritierend und schamauslösend werden meist auch die nächtlichen Samenergüsse empfunden. Diese Veränderungen werden von den Jugendlichen genau registriert und untereinander verglichen, und davor ist letztlich niemand sicher, heutzutage und in früheren Zeiten, unabhängig von Elternhaus und Bildung. So schrieb die französische Intellektuellenikone Simone de Beauvoir in ihren Memoiren einer Tochter aus gutem Hause über ihre Pubertät: »Ich wurde hässlicher, meine Nase rötete sich, auf Gesicht und Nacken bekam ich Pickel.« Dazu kamen peinliche Tics: »Unaufhörlich zuckte ich mit den Schultern oder drehte an meiner Nase […] Ohne böse Absicht, aber auch ohne Schonung machte mein Vater Bemerkungen über meinen Teint, die Akne und meine Tolpatschigkeit, durch die mein Unbehagen und meine Manien auf die Spitze getrieben wurden.« Der tragische Rockstar Kurt Cobain urteilte in seinen Tagebüchern rückblickend: »Mit 13 war ich ein nagetierhafter, unterentwickelter hyperaktiver Spasti, der seinen gesamten Torso in einem Bein einer Schlagjeans hätte unterbringen können.« 14 Einige schließen sich stundenlang im Badezimmer ein, betrachten sich intensiv und möchten gleichzeitig verhindern, dass andere sie betrachten. Der eigene Körper wird oft als etwas Lächerliches, Unvollkommenes, Unberechenbares empfunden, die Jugendlichen fühlen sich permanent angestarrt. Nicht ohne Grund hatte das britische Fernsehen die wunderbar betitelte Ratgebersendung Embarrassing Teenage Bodies entwickelt. Fällt der Körpervergleich mit anderen Jugendlichen oder mit idealtypischen Vorbildern nachteilhaft aus, kann dies zu Selbstwertproblemen führen. Nun wird der eigene Körper erst recht verhüllt oder stundenlang durchgestylt, um ihn möglichst vorteilhaft darzustellen. Bei einigen jedoch dient der eigene Körper geradezu als sichtbare Oberfläche innerer Konflikte. Durch Ritzen, Tätowieren und Piercings ziehen diese Jugendlichen die Blicke anderer geradezu auf sich. Manche Mädchen beginnen sich intensiv zu schminken und fühlen sich dann ohne Make-up regelrecht nackt. Die dicken Farbschichten auf dem Gesicht haben für sie die Funktion einer schützenden Maske.
    Ein anderes Beispiel bietet sich heute in jedem Schwimmbad. Im Alter von fünf, sechs Jahren beginnen die Jungs weite
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