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Blackhearts: Roman (German Edition)

Blackhearts: Roman (German Edition)

Titel: Blackhearts: Roman (German Edition)
Autoren: Chuck Wendig
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die Plätze vertauschen, während Münder sich öffnen, Atem sich vermischt.
    Er will nach ihr greifen, aber sie entzieht sich ihm.
    »Tschüss, Louis.«
    »Ich werde dich finden!«
    »Nein, wirst du nicht.«
    Aber so sicher ist sie sich da nicht.

FÜNFUNDSECHZIG

Wieder auf Achse
    »Halten Sie hier!«, sagt Miriam dem Fahrer. Er ist ein mürrischer alter Schwachkopf mit schlaffem Kinn, ein dritte-Zähne-tragender triefäugiger Wichser namens Albert. Seine Frau ist vor anderthalb Jahren gestorben, seitdem reist er durchs Land und tut das, von dem er und seine Frau immer aus Spaß behauptet haben, dass sie es mal tun würden, aber nie taten. Wie zum Beispiel die verrücktesten Straßenrandattraktionen zu finden: das größte Garnknäuel der Welt oder das Haus, das aus verrückten Winkeln besteht, oder Spukhotels, Schwerkrafthügel und noch andere Albernheiten.
    Er hat Miriam aufgelesen, als sie mit ausgestrecktem Daumen vor dem Roadside America stand; einem 800 Quadratmeter großen Gebäude, in dem die Vereinigten Staaten in Miniaturform ausgestellt sind. Das Schild verkündet, dass dafür über 10   000 kleine Bäume, über 18   000 Glühbirnen und 6   700 Meter elektrische Verdrahtung verwendet wurden.
    Es ist wahrscheinlich die einzige Sehenswürdigkeit in Shartlesburg, Pennsylvania, einem Ort, dessen Namen Miriam so lustig findet, dass sie – na ja, jedes Mal beinah kotzt, wenn sie ihn hört.
    Albert kam gerade aus dieser monumentalen Miniaturausstellung, als er Miriam trampen sah. Er fragte sie, wo sie hinwollte, und sie sagte es ihm.
    Er ist ein netter Kerl, geschwätzig wie ein Eichhörnchen, was für sie in Ordnung ist. Sie redet auch gern, aber für’s Erste, denkt sie sich, ist es Zeit, dass sie mal die Klappe hält.
    Albert stirbt bald, in dreizehn Monaten.
    Es ist Abend, wenn es passiert, und er steht vor einem riesigen Baumstumpf – einem Sequoia oder Redwood, in den das Gesicht eines bärtigen Mannes geschnitzt ist, der Miriam an den legendären Holzfäller Paul Bunyan erinnert. Ein Schild daneben erklärt, dass es sich um das Gesicht von John Muir handelt, wer zum Teufel das auch sein mag. Als die Sonne untergeht, holt Albert ein altes Foto seiner Frau hervor, so wie er es gewohnt ist, er dreht das Bild zu dem großen plumpen Kopf hin (damit sie ihn sehen kann) – und dann greift er sich an die Brust und stirbt.
    Er ist tot, bevor er auf dem Boden aufschlägt.
    Das Foto wird vom Wind fortgeweht.
    Vorerst ist er allerdings quicklebendig.
    »Alles in Ordnung, kleines Fräulein?«, fragt er. So nennt er sie die ganze Zeit: kleines Fräulein.
    Sie zwinkert ihm zu und hält einen Daumen hoch.
    »Ohren steifhalten!«, ruft er ihr zu. »Ich werd mir eine von Ihren Ziggies gönnen, während Sie drin sind! Die Anhaltermaut übernehmen Sie.«
    Sie ist froh, dass er bloß eine Zigarette meint. Er kichert, während sie sich auf dem Weg zum Haus macht.
    Der Fußweg unter ihren Füßen ist nach wie vor ramponiert.
    Die Töpfe sind immer noch zerbrochen, die Stufen ebenfalls. Über ihr hockt eine Krähe auf dem Rand der Regenrinne und tritt von einem Fuß auf den andern. Sie versucht, sich irgendwie in den Verstand der Krähe zu denken, versucht, den Vogel dazu zu bringen, irgendwas zu tun – heb einen Flügel, klapper mit dem Schnabel, kack mal   – , aber alles, was er macht, ist auffliegen und in den Bäumen verschwinden.
    Was soll’s. Bescheuerter Vogel.
    Sie klopft.
    Schließlich macht Onkel Jack auf.
    »Du«, sagt er, verunsichert.
    »Ich will Mutters Nummer. Und ihre Adresse in Florida.«
    »Das überrascht mich.«
    »Mich auch. Geh sie einfach holen, o.   k.?«
    Schließlich kommt er zurück, drückt ihr einen Zettel in die Hand. Fort Lauderdale.
    Schön. Gut. Ihr Herz rast.
    »Danke, Jack. Man sieht sich, wenn man sich sieht.« Was vermutlich nie mehr sein wird.
    »Bis dann, Killerin.«
    Sie dreht sich noch mal zu ihm um, rechnet damit, dass er sie anlächelt – vielleicht eine tote Wanderdrossel und ein geladenes Luftgewehr hochhält. Aber er ist schon wieder im Haus verschwunden.
    Miriam springt zurück zu Albert ins Auto.
    »Wo geht’s hin?«, fragt er.
    »In den Süden«, antwortet sie.
    Und das ist die Richtung, in die er fährt.
    ENDE

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