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Blackbirds

Blackbirds

Titel: Blackbirds
Autoren: Chuck Wendig
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schießen. »Mensch, warum steckt mir diese Tussi nicht eine Brieftasche unter die Zunge? Könnte sie mir nicht den einen Gefallen tun?Oder vielleicht denkst du auch, hey, ich hab schon öfter Anfälle gehabt, und keiner davon hat mich umgebracht. Ein Kerl kann ja wohl nicht wirklich die eigene Zunge verschlucken, oder? Das ist doch nur ein Mythos? Oder vielleicht, nur vielleicht, denkst du, ich bin irgendeine Art von völlig bekloppter Highwayhexe mit magischen Kräften.«
    Er gurgelt. Seine Wangen verfärben sich rot. Dann lila.
    Miriam zuckt mit den Schultern und zieht eine Grimasse, als sie mit grimmiger Faszination beobachtet, wie sich der Anfall entwickelt. Sie sieht diese Szene nicht zum ersten Mal.
    »Dem ist nicht so, mein lieber Nutten-Verprügler aus der freundlichen Nachbarschaft. Es ist dein Schicksal, an deines eigenen Mundes Fleisch zu ersticken, hier in diesem gottverfickten Motel am Arsch der Welt. Ich würde ja etwas tun, wenn ich könnte, aber ich kann nicht. Würde ich dir die Brieftasche unter die Zunge schieben, würde ich die Zunge wahrscheinlich nur tiefer reindrücken. Weißt du, meine Mutter hat immer gesagt: ›Miriam, es ist, wie es ist.‹ Und so, Del Amico, ist es.«
    Schaum blubbert über Dels aschfarbene Lippen. Die Blutgefäße in seinen Augen platzen.
    Genau wie sie es in Erinnerung hat.
    Sein starrer Körper wird schlaff. Sein Kampfgeist verlässt ihn. Sein drahtiger Körperbau gibt nach, der Kopf neigt sich in einem üblen Winkel, die Wange knallt auf den Boden.
    Dann, als sei es noch nicht genug, kommt die Kakerlake unterm Bett hervorgeflitzt. Sie benutzt Dels verzerrte Oberlippe als Trittleiter und zwängt ihren fetten kleinen Körper in sein Nasenloch, bevor sie verschwindet.
    Miriam holt tief Luft und schaudert.
    Sie versucht zu sprechen, versucht zu sagen, dass es ihr leidtut, aber ...
    Sie kann es nicht aufhalten. Sie rennt ins Bad und kotzt ins Klo.
    Miriam kniet eine Weile da, den Kopf an die Unterseite des Waschbeckens gelehnt. Das Porzellan fühlt sich kühl an, beruhigend. Sie riecht Minze. Der saubere Duft von billigem Mundwasser.
    So erwischt es sie oft. Als ob irgendein Teil von ihr mit ihnen stürbe, irgendein Teil, den sie hervorwürgen und auskotzen und dann fortspülen muss.
    Und wie immer weiß sie, dass es ihr danach echt besser gehen wird.
    Sie kriecht aus dem Bad, steigt über Dels erkaltenden Körper und holt ihre Kuriertasche von der anderen Seite des Betts. Sie kramt darin herum, findet, wonach sie sucht, und zieht ein zerknittertes Päckchen Marlboro Lights heraus. Sie klopft eine raus, steckt sie sich zwischen die Lippen und zündet sie an.
    Miriam atmet Rauch aus, einen Strahl aus jedem Nasenloch. Wie Dampf aus der Nase eines Drachen.
    Der Brechreiz lässt nach; eine septische Flut schwemmt das Gift zurück ins Meer.
    »Schon viel besser«, sagt sie zu wem auch immer. Dels Geist vielleicht. Oder der Kakerlake.
    Dann wühlt sie wieder in der Tasche, um Gegenstand Nummer zwei zu suchen: ein schwarzes Notizbuch mit einem roten Schreiber, der in der Spirale steckt. Das Notizbuch ist fast vollgeschrieben. Nur noch zehn Seiten übrig. Zehn leere Seiten, eine große Leere von entsetzlichem Potenzial: eine ungeschriebene Zukunft, die doch schon festgelegt ist.
    »Hey, Augenblick mal!«, sagt sie. »Allmählich werde ich bei der Sache nachlässig. Ich darf das hier nicht vergessen.«
    Miriam steht auf, nimmt Dels Hose und sucht nach seiner Brieftasche. Darin findet sie knapp fünfzig Mäuse und eine Mastercard. Genug, um ihren Bauch zu füllen, sie wieder auf die Straße und in die nächste Stadt zu bringen.
    »Danke für die Spende, Del.«
    Miriam stapelt ein paar Kissen ans Kopfende des Betts und lehnt sich zurück. Sie klappt das Notizbuch auf und schreibt:
    Liebes Tagebuch:
    Ich hab’s schon wieder getan.
ZWEI
    Von Aasfressern und Raubtieren
    Interstate 40. Viertel nach eins am Morgen.
    Es hat gerade aufgehört zu regnen. Der Highway glänzt.
    Die Luft riecht nach nassem Asphalt – ein Duft, den Miriam mit fetten Regenwürmern verbindet, die sich auf feuchtem Schotter dahinschlängeln.
    Autoreifen rauschen vorbei. Es zischt. Alles ist eine Schmiere von Scheinwerfern in die eine und Bremslichtern in die andere Richtung.
    Miriam ist inzwischen seit zwanzig Minuten hier draußen, und sie fragt sich, warum es nicht einfacher ist. Hier ist sie: knappes, weißes T-Shirt – ein knappes, weißes, nasses T-Shirt und kein BH in Sicht – und der Daumen draußen
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