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Black Rabbit Summer

Black Rabbit Summer

Titel: Black Rabbit Summer
Autoren: Kevin Brooks
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Nachbarhauses schwang auf und eine wütend aussehende Frau sah heraus. »Was soll das werden, was tust du da?«, schrie sie mich an. »Mann, ich versuch hier drinnen Fernsehen zu gucken –«
    »Ist er da?«, blaffte ich zurück. »Haben Sie ihn gesehen?«
    »Wen?«
    »Pauly. Pauly Gilpin. Haben Sie ihn gesehen?«
    »Nein, ich hab ihn nicht
gesehen
. Und ich kann auch nicht behaupten, dass ich das möchte... Moment mal, was machst du denn da?«
    Ich hatte mich von ihr abgewandt und einen Betonstein vom Rand des Wegs aufgehoben. Ich merkte, dass sie noch etwas zu mir sagte, als ich zu dem Vorderfenster ging und den Stein in meiner Hand hochhob, doch ich hörte nicht mehr hin. Ich tat gar nichts mehr, ich versuchte nur noch verzweifelt, ins Haus zu kommen.
    Ich warf den Stein gegen das Fenster. Das Glas barst und zerschellte in alle Richtungen. Ich kletterte auf eine kaputte Palette, die an die Mauer gelehnt stand, fasste durch die zerbrochene Scheibe, entriegelte das Fenster und schwang mich |498| ins Wohnzimmer.
    Innen war es dunkel und wirkte verkommen. In der Ecke flimmerte ein kleiner Fernseher stumm vor sich hin, die Atmosphäre wirkte leblos und trist. Ich wollte wieder rufen, aber irgendwie schien das unpassend. Es war zu still, um zu schreien... zu gedämpft. Es schien einfach unpassend.
    Ich durchquerte das Wohnzimmer und ging hinaus auf den Flur. Die Treppe war links. Für einen Moment blieb ich stehen, starrte in das Halbdunkel und redete mir ein, dass ich nicht hinauf
musste
, dass es wahrscheinlich sowieso keinen Unterschied mehr machte... aber ich wusste, es gab kein Zurück.
    Als ich die schmale Treppe hinaufging, kam es mir vor, als würde mich die Stille des Hauses erdrücken. Ich spürte sie in der Luft, sie strich mir über die Haut wie ein Film ölig grauen Wassers.
    Am oberen Ende der Treppe blieb ich stehen.
    Die verdreckte Zeitungsseite lag immer noch auf dem Absatz. Ich lief drum herum und ging hinüber zu Paulys Tür. Sie war geschlossen. Einen Moment lang stand ich davor, horchte genau und glaubte kurz, ich hätte etwas gehört. Ein schwaches Knarren... ein Mal, zwei Mal... dann hörte es auf. Ich atmete aus, atmete ein. Die Luft roch schlecht. Sauer und schal, verschwitzt, schmutzig... und schlimmer. Es war da noch etwas anderes, ein anderer Geruch, etwas Schreckliches.
    Ich schloss die Augen.
    Holte tief Luft.
    Und öffnete die Tür.

    Zuerst traf mich der Geruch, der widerliche Gestank von |499| menschlicher Scheiße, und ich wollte mich schon übergeben, als ich hochschaute und Pauly von der Decke baumeln sah. Ein Gürtel war um seinen Hals geschlungen, das eine Ende an der Lampenhalterung befestigt, und während ich dastand – würgend und schluckend –, knarrte und drehte sich der Gürtel an der Lampenhalterung und langsam drehte sich mir Paulys aufgeblähtes Gesicht zu. Er grinste – ein letztes qualvolles Grinsen im Todeskampf – und seine dick angeschwollene Zunge ragte zwischen den Zähnen heraus. Seine Augen quollen hervor, das Weiße von Blut gesprenkelt. Sein Hals war geschwollen. Seine Gedärme hatten sich entleert und die Jeans eingefärbt und auf dem Boden war eine kleine Pfütze aus Pisse.
    Ich schloss die Augen.
    Hielt den Atem an.
    Bitte, lass das nicht wahr sein.
    Doch als ich die Augen wieder öffnete, war alles noch da: die Leiche, die Fliegen, die leeren Hamburgerschachteln, der Dreck, die Trauer, der Gestank der Schuld, der umgestoßene Stuhl auf dem Boden... und auf dem ungemachten Bett ein Computerausdruck von Stella Ross, ihr Gesicht zerkritzelt und ein Kugelschreiber durch ihr Herz gebohrt.
    »Mensch, Pauly«, murmelte ich.
    Ich war jetzt triefnass vor Schweiß. Meine Beine zitterten, mein Blut war kalt, und als ich mich schwankend auf den Boden sinken ließ und in die Tür setzte, quoll eine Flut von Elend in mir hoch und drückte mir Tränen in die Augen.
    Ich vergrub meinen Kopf in den Händen und fing an zu schluchzen.

|500| Einunddreißig
    I ch weiß nicht, wie lange ein Moment dauert – eine Sekunde, eine halbe Sekunde... eine Millionstelsekunde – und ich weiß auch nicht, wie die Zeitlosigkeit eines Moments in deine Gedanken eindringen und sich in eine immerwährende Erinnerung verwandeln kann... doch ich weiß, ich werde niemals vergessen, was ich in jenem Zimmer sah. Ich will es vergessen. Ich will aufhören, es jede Nacht vor mir zu sehen, jedes Mal, wenn ich die Augen schließe, jedes Mal, wenn ich gerade glaube, es vergessen zu haben. Doch ich
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