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Black Dagger 10 - Todesfluch

Black Dagger 10 - Todesfluch

Titel: Black Dagger 10 - Todesfluch
Autoren: J.R. Ward
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Hochsteckfrisur konnte man die Haarnadeln sehen. Vater las die Zeitung, und das Geräusch der umblätternden Seiten war so laut wie ein Pistolenschuss. Keiner von beiden sagte ein Wort zu mir.
    Ich saß also auf meinem Stuhl und konnte den Blick nicht von dem leeren Platz mir gegenüber abwenden. Die Schale Haferschleim landet vor mir auf dem Tisch. Marie, unser Dienstmädchen, legte mir die Hand auf die Schulter, als sie die Schüssel vor mir abstellte, und fast wäre ich in Tränen ausgebrochen. Doch dann schnalzte mein Vater mit der Zeitung, als wäre ich ein Hundwelpe, der auf den Teppich gemacht hat, und ich hob den Löffel auf und begann zu essen. Ich quälte mir den Brei herunter, bis ich würgen musste. Und dann fuhren wir los.«
    V wollte sie berühren und hätte beinahe die Hand ausgestreckt. Stattdessen aber fragte er nur: »Wie alt warst du damals?«
    »Dreizehn. Als wir bei der Kirche ankamen, war sie schon überfüllt, weil jeder in Greenwich meine Eltern kannte. Meine Mutter bemühte sich verzweifelt um Fassung, und mein Vater war steif und ungerührt, insofern war also alles wie gewohnt. Ich weiß noch, dass ich dachte, die beiden wären genau wie immer, mal abgesehen von dem miserablen Make-up meiner Mutter und davon, dass mein Vater die ganze Zeit mit dem Kleingeld in seiner Hosentasche spielte. Was völlig untypisch war. Er hasste Hintergrundgeräusche jeglicher Art, und ich war überrascht, dass das unentwegte Klimpern der Münzen ihn nicht störte. Ich schätze mal, es war deshalb okay, weil er selbst den Lärm kontrollierte. Ich meine, er hätte jederzeit damit aufhören können, wenn er gewollt hätte.«

    Als sie stockte und den Blick auf die gegenüberliegende Wand richtete, sehnte sich V danach, in ihren Kopf zu gelangen, er wollte genau sehen, was für Erinnerungen sie gerade neu durchlebte. Doch er tat es nicht – und zwar nicht, weil er sich nicht sicher war, ob es klappen würde. Was sie freiwillig von sich preisgab, war viel kostbarer als alles, was er sich nehmen könnte.
    »Erste Reihe«, murmelte sie. »In der Kirche hatte man uns in die erste Reihe gesetzt, direkt vor den Altar. Gott sei Dank lag Hannah in einem geschlossenen Sarg, obwohl ich sie mir wunderschön vorstellte. Sie hatte rötlich blondes Haar, meine kleine Schwester. So wellig und üppig, wie man es von Barbies kennt. Meins war fad und glatt. Egal …«
    Flüchtig schoss V der Gedanke durch den Kopf, dass sie diese Geschichte erzählte, als schriebe sie sie auf eine volle Tafel. Nach jedem Abschnitt wischte sie die Kreide wieder weg, um Platz für mehr Erinnerungen zu schaffen.
    »Die erste Reihe also. Der Gottesdienst begann mit Orgelmusik. Und die Sache war die: Diese Pfeifen ließen den Boden vibrieren. Warst du schon mal in einer Kirche? Wahrscheinlich nicht. Auf jeden Fall kann man die tiefen Töne spüren, wenn es wirklich laut wird. Natürlich fand der Trauergottesdienst in einem riesigen Bau statt, und die Orgel hatte mehr Pfeifen als Caldwells Kanalisation Rohre. Lieber Himmel, wenn das Ding gespielt wurde, dann kam man sich vor wie in einem Flugzeug beim Start.«
    Wieder hielt sie inne und holte tief Luft. V wusste, dass diese Geschichte sie aufwühlte, sie an einen Ort versetzte, an dem sie sich nicht gern oder häufig aufhielt.
    Ihre Stimme klang heiser, als sie fortfuhr. »Ungefähr den halben Gottesdienst hatte ich schon überstanden, aber mein Kleid war zu eng, und mein Magen fühlte sich schrecklich an, und dieser verdammte Haferschleim meines Vaters
hatte gemeine Wurzeln ausgetrieben und sich an die Innenseite meiner Gedärme geheftet. Und der Priester kam nach vorn an sein Pult, um die Trauerrede zu halten. Er sah aus wie aus dem Bilderbuch, weißes Haar, tiefe Stimme, gekleidet in eine elfenbeinfarbene Robe mit goldenen Säumen. Er war damals der Episkopalbischof von ganz Connecticut, glaube ich. Jedenfalls fing er an, über die Gnade zu schwafeln, die uns im Himmel erwartet, und diesen ganzen Blödsinn von Gott und Jesus und der Kirche. Seine Rede wirkte eher wie ein Werbespot für seinen Verein als ein Gedenken an Hannah.
    Da saß ich also und war nicht so ganz bei der Sache, als mein Blick auf die Hände meiner Mutter neben mir fiel. Sie waren fest ineinander verschränkt, die Knöchel schon ganz weiß, als säße sie in der Achterbahn. Dann sah ich nach links und betrachtete die Hände meines Vaters. Seine Handflächen lagen auf seinen Knien, und alle Finger gruben sich ein, außer dem kleinen
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