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Bitteres Blut

Bitteres Blut

Titel: Bitteres Blut
Autoren: Willi Voss
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wissen!Wozu? Was bringt es Ihnen, wenn …« Sie sah Lorinser an, in den Augen die Hoffnung, ihn erweichen zu können. »Bitte«, flüsterte sie. »Bitte!«
    Lorinser roch ihre Not. Er sah ihre ihm entgegengestreckten Hände, ihr blasses, zerrissenes Gesicht und ihre Tränen, die über ihre mageren Wangen rollten. Da drückte mehr als die Furcht, in eine peinliche Situation zu geraten, da drückte existenzielle Angst. Diese Frau steht, mehr als sie selbst ahnt, ganz dicht am Abgrund, dachte er.
    Spontan ging er auf sie zu, umfasste ihre Schultern und zog sie an sich. Er roch ihr ungewaschenes Haar, den Hauch eines blumigen Parfüms, die bitterscharfen Essenzen des Alkohols. Er spürte durch die Decke ihren mageren Körper, die knochigen Schultern, ihren Widerstand, der erst nachließ, als sie den Kopf an seine Brust lehnte und in sich hinein weinte. Seine Schwester fiel ihm ein, das Bild, als sie Schmerz geplagt vor seiner Tür kauerte – gedemütigt, körperlich und seelisch verletzt. Nur dass Katta am Horizont ihn wusste, den Bruder, zu dem sie sich hatte flüchten können. Und stark genug, Schläge zu ertragen und zu überstehen, war sie obendrein. Melanie, ahnte er, hatte nicht die Kraft und wohl auch seit Langem niemanden, zu dem sie sich flüchten und bei dem sie Zuspruch finden konnte. Bis Thorsten Böse, diese lediglich das Licht reflektierende Gestalt des schönen Scheins, der Talmimann, wie Halvesleben ihn beschrieben hatte, als vermeintlicher Erlöser in ihr Leben getreten war. Aber der Traum, endlich aus dem Käfig ihres Ichs ausbrechen zu können, war mit dessen Tod brutal zerplatzt. Allerdings war ihr dadurch auch die Enttäuschung erspart geblieben, benutzt abgelegt zu werden. Zurückgeblieben war diese körperlich spürbare, tiefgehende Not, die sie vergeblich mit den stumpfen Waffen der Chemie aus Pille und Flasche zu beherrschen versuchte.
    »Im Augenblick«, sagte Lorinser sanft, »sehe ich keinen Anlass, mit Ihrer Mutter über die Geschichte zu reden. Ich bin sicher, dass mein Kollege es genauso sieht.« Er machte eine Pause und spürte,wie sich Melanies Körper entspannte. »Was ich aber hoffe«, fuhr er mit einem Blick auf den Zustimmung signalisierenden Steinbrecher fort, »ist, dass Sie uns helfen, die Zusammenhänge zu verstehen.«
    Lorinser bemerkte, wie sich ihr Körper wieder versteifte. Sie löste sich von ihm, hob den Kopf und blickte ihn an, die Flasche in ihrer herabhängenden Hand. Obwohl sie seinen Blick hielt, zitterten ihre Augen wie eiserne Kugeln zwischen zwei sich abstoßenden Polen. Ihren rechten Arm presste sie wie in Erwartung eines Angriffs vor der Brust. »Ich will nicht noch mehr Ärger, verstehen Sie das nicht?«
    »Ärger mit Ihrer Mutter, weil Sie sich mit Thorsten angefreundet haben?«
    Melanie nickte.
    Lorinser erinnerte sich, mit welcher Vehemenz Gertraude Simmerau den jungen Böse in Schutz genommen und damit seinen Verdacht auf eine sexuelle Beziehung mit ihm geschürt hatte. Vorausgesetzt, es hatte sie gegeben, musste Melanie, die unter dem gleichen Dach lebte, nicht zwangsläufig Zeugin geworden sein?
    »Seit wann kennen Sie Thorsten eigentlich?«, fragte er wie nebenbei.
    »Seit März. Er war bei uns in Freiburg. Das heißt, bei meiner Mutter. Es ging um irgendwelche Patentrechtsverletzungen, glaube ich. Er hat dann den Vorschlag gemacht, ich sollte doch mal mitkommen, wenn meine Mutter nach Lemförde fährt. Das habe ich dann ja auch gemacht.«
    »Er hat Ihnen gefallen, nicht?«
    Sie hob die Schultern.
    »Sie haben sich in ihn verliebt?«
    Sie nickte.
    »Und er sich in Sie?«
    Ihr Adamsapfel hüpfte. Sie kämpfte wieder mit den Tränen. Die Flasche pendelte an ihrer Hand.
    »Und weil er nicht wollte, dass Ihre Mutter davon erfuhr, haben Sie sich heimlich getroffen?«
    »Ja.«
    »Bei ihm?«
    »Das wollte er nicht. Wegen seinem Vater. Wir haben was gegessen, wir haben getanzt. In Diepholz, im ›Cesar’s Palace‹ und im ›Kreml‹. Einmal waren wir im ›Hotel Deutsch Krone‹ in Bad Essen. Am Mittwoch vor dem Schützenfest.«
    »Über Nacht?«
    Sie nickte.
    »War’s das erste Mal, dass Sie …«
    »Nein«, unterbrach sie ihn, »das war Sonntag hier im Haus, in meinem Zimmer. Ich war alleine, weil die anderen mit den Leuten von der CDU auf Radtour waren.«
    Die anderen.
    »Und dann haben Sie Thorsten erst wieder auf dem Schützenfest gesehen?«
    »Nein, Samstagmorgen. Aber nur kurz, weil meine Mutter dabei war. Beim Einkaufen im Edeka. – Kann ich noch
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