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Bitteres Blut

Bitteres Blut

Titel: Bitteres Blut
Autoren: Willi Voss
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nun wie strammstehende Soldaten auf der inzwischen vom Bauschutt befreiten und planierten Gartenfläche in Reih und Glied posierten. Lorinser erkannte Kirschlorbeer, Buchs und, zum Nachbarn hin, eine Reihe Rotdorn, der wohl zu einem stacheligen Sichtschutz heranwachsen sollte. Trotz der feuchtschwülen Hitze hatte Melanie Simmerau ihren Oberkörper in eine flauschige Wolldecke gehüllt, die wie eine Eskimosturmhaube nur ihr düsteres Gesicht und die dunklen Schatten ihrer starr auf den Carport gerichteten Augen preisgab. Neben ihr, auf den frisch verlegten Bodenklinkern, lag ein gutes Dutzend verglühter Kippen, verkohlte Streichhölzer und einige Papiertaschentücher. Zwischen ihren von einer Jeans bedeckten Beinen ragte, obszön wie ein erigierter Penis, eine Schnapsflasche.
    »Bullenschluck, das Original aus Sulingen« war auf dem oberen Teil des Etiketts zu erkennen. Lorinser schauderte in Erinnerung an den bitterscharfen Geschmack des Kräuterlikörs, der, als Medizin erfunden, angeblich Eisen ätzte und zum Mutprobe- und Kultgetränk der besonders harten Kampftrinker mutiert war. Er hatte ihn in jener Nacht kennengelernt, als Paula ihm abhandengekommen war.
    »Frau Simmerau?«
    Träge, als steckte ihr Kopf in zähem Teer, wandte Melanie ihm ihr verhärmtes Gesicht zu. Ihre rechte Hand kroch unter dem wollenen Schutzzelt hervor, griff nach der Flasche und zog sie unter die Decke.
    »Wir haben den Hund gehört«, sagte er. »Und dann Sie, als sie ihn zur Ruhe gerufen haben.«
    »Ach, Sie sind das«, sagte sie, als müsste sie jedes Wort einzeln abrufen, blickte aber an ihm vorbei und fixierte aus zusammengezogenen Augen Steinbrecher, der hinter Lorinser stand und sie besorgt anstarrte. Der Hauch eines Lächelns kräuselte ihre Lippen. »Ja, Aisha spielt verrückt, wenn jemand klingelt. Dann dreht sie einfach durch. Wenn keiner im Haus ist. Haben Sie vielleicht eine Zigarette?«
    »Ja, habe ich«, sagte Lorinser und griff in die Tasche. Er hielt ihr die Packung hin, entdeckte hinter der Scheibe des Terrassenfensters den schwanzwedelnden Hund und, unter dem Plastikstuhl, eine Medikamentenschachtel mit dem Aufdruck »Fevarin«. Er runzelte die Stirn und erinnerte sich, dass sein Vater das Antidepressivum gegen die Düsternis seines immer schwerer werdenden Gemüts eingenommen hatte. Melanie zog mit zitternden Fingern eine Zigarette heraus, brach den Filter ab und schob sie sich zwischen die Lippen.
    Steinbrecher gab ihr Feuer. »Ihre Mutter und Ihr Bruder haben Sie wohl alleine gelassen?«, fragte er so leise, als fürchtete er, sie aus einem Traum zu reißen.
    »Ja, die sind vorhin nach Diepholz«, sagte sie und sog den Rauch wie eine Ertrinkende in die Lungen. Ein heiseres Lachen strömte mit dem Rauch aus ihrem Mund. »In so ’nem Kuhdorf Freunde zu finden, ist ja nicht leicht.«
    Und wenn einer auftaucht, geht er dir mit Getöse von der Fahne, dachte Lorinser. Ganz anders der Kumpel in der Flasche, den sie in die Wärme unter ihrer Decke gezogen hatte. »Wir möchten mit Ihnen über den Sonntagabend sprechen. Über den Tag, als … als Sie in der ›Leuenfort Schänke‹ verabredet waren.«
    Unter der Decke hoben sich ihre Schultern. Eine lahme Bewegung, die dem Garten, den Stiegen, vielleicht ihrem kummervollen Dasein oder der im Carport parkenden »Kathedrale« ihres Bruders galt. Sie schwieg. Weil sie nicht erinnert werden wollte? Oder vielleicht, dachte Lorinser, weil die Mischung aus Chemie und Alkohol ihr die Antwort schwer machte? Steinbrechers Fragejedenfalls schien bei ihr nicht angekommen zu sein. Er ging neben ihr in die Hocke.
    »Frau Simmerau«, sagte er eindringlich und berührte ihre Schulter. »Wir möchten mit Ihnen über den Sonntag sprechen, als Sie mit Ihrer Mutter im Festzelt auf dem Schützenfest waren. Erinnern Sie sich?«
    »Na klar.«
    »Auch daran, wann Ihre Mutter und Thorsten Böse das Zelt verlassen haben?«
    »Es war zehn vor zwölf.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Ich habe auf meine Uhr geschaut.«
    Carola Bersenbrück, die Lorinser auf der Fahrt nach Lemförde angerufen hatte, hatte ebenfalls behauptet, dass es »mindestens zehn vor, eher noch später« gewesen war.
    »Weil Sie die Verabredung in der ›Leuenfort Schänke‹ hatten und pünktlich sein wollten, nehme ich an?«
    »Ja, das ist richtig. Ich wollte rechtzeitig da sein. War ich auch, weil ich sofort los bin.«
    »Zu Fuß?«
    »Nein, mit dem Auto.«
    »Ganz schön riskant. Wegen der Polizeikontrollen, meine ich.«
    Sie
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