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Bittere Pille

Bittere Pille

Titel: Bittere Pille
Autoren: Andreas Schmidt
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so
verlief?
    »Puls und
Herzschlag leicht erhöht, Reflexe hingegen ziemlich weit
unten.«
    »Was ist das
bloß?«, durchbrach die Frau das Schweigen.
»Katatone Schizophrenie, wohl ein weiteres Stadium seiner
Krankheit.«
    »Er ist gefangen
in seinem Körper?« Entsetzen in der Stimme der Frau.
»Dann ist er bei vollem Bewusstsein, kann uns sehen
und hören?«
    »Vermutlich.« Der
Sprecher klang gleichgültig. »Ein psychomotorisches
Syndrom. Wir müssen abwarten, aber ich sehe schwarz.«
Der Mann kicherte. »Es ist eine Frage der Zeit, bis sich sein
seelischer Zustand seinem körperlichen angleicht. Ich bin
sicher, dass er heute noch …« Der Sprecher brach
ab.
    Was redete der Mann da
bloß für einen Unsinn? Er lebte, und das sahen sie auf
ihren verdammten Geräten, an die sie ihn angeschlossen hatten.
Wollten sie ihn hier verrecken lassen wie einen Hund?
    Seine Gedanken rasten,
und er spürte den stechenden Schmerz in der Brust.
    Gefangen im eigenen
Körper, dachte er. Ja, das war es. Unter normalen
Umständen wäre er aufgestanden und hätte diesem
arroganten Pfleger eine gescheuert. Aber augenblicklich war er
nicht mal in der Lage, ein einziges Augenlid zu heben. Also
versuchte er, sich die Stimme des Pflegers einzuprägen. Er
würde ihm sicher noch einmal begegnen. Und dann würde der
sich eine fangen. Jetzt spürte er wieder ein leichtes
Tätscheln auf der Wange. »Hallo Herr Dahlhaus?«
Ein letzter Versuch der Frau, ihn ins Leben
zurückzuholen.             
    Hier bin ich. Dachten
Sie ernsthaft, ich sei tot?
    »Keine Reaktion,
nichts. Es ist, als wäre er schon tot.« Jetzt klang ihre
Stimme belegt, fast so, als würde die Frau weinen.
    Er konnte es nicht
sehen. Seine Panik steigerte sich ins Unermessliche. Warum
hörten sie ihn nicht, wenn er ihnen antwortete? Er selber
hatte gehört, wie er gesprochen hatte. Oder spielte ihm sein
Bewusstsein einen Streich?
    »Es ist
sicherlich nur noch eine Frage der Zeit.« Ein irres Lachen,
dann verspürte er einen harten Schlag gegen die Schulter.
»Schlaf gut, du Penner«, hörte er diesen
unverschämten Kerl jetzt sagen. Und zur Begleitung seiner
Worte bekam er einen Hieb in die Rippen. Es fühlte sich an,
als würde sein Körper explodieren.
    Der Schmerz brannte
und breitete sich in Sekundenbruchteilen über seinen
geschundenen Leib aus. Er wollte schreien, doch über seine
spröden Lippen kam nichts als ein kehliger Laut.
    Schritte entfernten
sich. Dann endlich hatte er die Kraft, seine Arme
hochzureißen. Doch sie hatten seine Handgelenke mittels
lederner Riemen am Bett fixiert. Er war nicht nur in seinem eigenen
Körper gefangen - sie hatten ihn auch noch ans Bett gefesselt.
Was hatten sie mit ihm gemacht, und, viel schlimmer diese
Ungewissheit: Was würden sie noch mit ihm tun?
    »Komm schon. Ich
will nicht daneben stehen und ihm zusehen, wenn er
abkratzt.«
    Schritte auf blankem
Boden entfernten sich. Eine Tür klappte, das Licht ging aus,
dann war er alleine.
    Das Sterben
begann.
     
    Er wusste nicht, wie
lange er im Dunkeln gelegen hatte, befand sich in einer Art
Dämmerschlaf, war nicht wach und schlief nicht. Traum und
Wirklichkeit verschwammen miteinander. Er hatte Halluzinationen
gehabt. Immer wieder waren verzerrte Stimmen an seine Ohren
gedrungen. Worte, die er zwar gehört, aber nicht verstanden
hatte. Hände, die seinen Körper berührten, ohne ihm
zu helfen. Eine spitze Nadel, die sich in seine Haut bohrte,
ließ ihn zusammenzucken. Tief unter der Haut spürte er
den Stich; er wollte schreien, was nicht gelang. Sein Körper
bäumte sich auf, dann ließ der Schmerz auch schon nach.
Eine Frau, die ihm eine gute Nacht gewünscht hatte. Das alles
konnte er weder dem Traum noch der Wirklichkeit zuordnen.
Irgendwann fiel ein breiter Lichtschein in das Zimmer. Ein Luftzug
wehte herein. Vermutlich hatte man die Tür, die hinaus zum
Flur führte, geöffnet. Er spannte seine Nackenmuskeln an,
versuchte, den Kopf zur Seite zu drehen. Ein stechender Schmerz
durchzuckte seinen Hals. Er ließ es bei dem Versuch, hatte
sich längst schon aufgegeben. 
    Seine Atmung wurde
flacher. Das Flackern seiner Lider machte ihm erneut klar, dass er
seinen Körper nicht mehr beherrschte. Dass er ihn vielleicht
niemals wieder beherrschen würde. Ein letztes Mal spannte er
alle Muskeln an, fühlte den dumpfen Schmerz, der sich bis in
seine Wirbelsäule fortsetzte, dann sackte er leblos auf dem
breiten Bett zusammen.
    Das Gesetz der
Schwerkraft schien für ihn nicht
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