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Bittere Pille

Bittere Pille

Titel: Bittere Pille
Autoren: Andreas Schmidt
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mitmache.«
    »Mach, was du
willst.«
    Mit den
Gesprächsfetzen, die er mitgehört hatte, konnte er nicht
viel anfangen. Was war mit ihm geschehen? Die Gedanken taumelten
wirr durch seinen Kopf. Ihm fehlte jede Erinnerung. Die letzten
Stunden waren wie weggewischt aus seinem Gehirn. Der Verdacht, dass
er sich in einem Krankenhaus befand, festigte sich. Aber, um
Himmels willen, wo brachten sie ihn hin? Er mobilisierte alle
Kräfte, spannte die Muskeln an und holte tief Luft. Ich bin
nicht tot, schrie alles in ihm. Ich bin nicht tot, ich lebe! Doch
sie hörten ihn nicht. Wie auch, wenn er sich in einer anderen
Dimension befand? Er spannte erneut die Muskeln an und spürte
den Schmerz, der ihn lähmte. Kraftlos brach er zusammen und
besann sich auf das, was ihm geblieben war: das Denken. Wo brachten
sie ihn hin? Was hatten sie mit ihm vor? Wo immer der Weg auch
enden würde, sie hatten ihn in ihrer Gewalt, und er musste
tatenlos miterleben, was mit ihm geschah. Hilflos,
ausgeliefert.
    Ihm wurde heiß,
und er glaubte, Schweißperlen auf seiner Stirn zu
spüren. Doch das konnte auch Einbildung sein. Das Bett wurde
angehalten, eine Tür geöffnet, dann fuhren sie ihn in
einen dunklen Raum. Es war kalt, der Schweiß auf seiner Stirn
kühlte ab, und er fror. Vermutlich trug er
nur eines dieser dünnen Flatterhemden, die man den Patienten
in Krankenhäusern verpasste. Diese Dinger mit dem eingewebten
Krankenhauslogo am Saum, strahlend weiß, steril. Der
Baumwollstoff schmirgelte hart wie ein Stück Pappe auf der
Haut.
    In dem Raum roch es
scharf nach Desinfektionsmitteln. Am liebsten hätte er sich
übergeben. Die Zunge bildete einen geschwollenen
Fremdkörper in seinem Mund. Das Licht an der Decke wurde
eingeschaltet, es flackerte kurz, bis die Röhren ihre
Temperatur erreicht hatten und ein gleichmäßiges Licht
verbreiteten. Das Klicken der Leuchtstoffkörper klang wie das
Brechen einzelner Knochen. Er erschauderte.
    Das Bett wurde an eine
Wand geschoben. Mit einem harten Ruck stieß es gegen den
Putz. Metall schepperte. Sein Körper rutschte an das Kopfende
des Bettes, und ihm wurde schwindelig. Das eiserne Bettgestell
erbebte, das Gewicht seines Körpers gehorchte den Gesetzen der
Fliehkraft. Er drehte sich halb zur Seite, spürte die Wand, um
wieder ins Laken zurückzufallen. Kraftlos, schlapp und noch
immer benebelt.
    »Mann, pass doch
auf" zischte die Frau.
    Eine Tür wurde
zugeschlagen. Doch sie waren noch da. Er spürte ihre
Anwesenheit. Es war, als hätte sich sein Bewusstsein
erweitert. Sein Körper schien ihm bereits nicht mehr zu
gehören, und auch die Sehkraft ließ rapide nach. Dennoch
waren seine Sinne in Alarmbereitschaft.
    Verächtliches
Lachen. »Der kriegt doch eh nichts mehr mit. Es ist eine
Frage der Zeit, bis er es hinter sich hat.« Der
spöttische Sprecher. In seiner Stimme lag
Respektlosigkeit.
    »Manchmal bist
du ein Arschloch.«
    »Ist doch
wahr«, erwiderte der Respektlose. »Der hat keine
Chance, wird heute noch ins Gras beißen, darauf wette ich
hundert Euro.«
    »Du bist echt
das Letzte.«
    Er spürte ein
leichtes Tätscheln auf der Wange. »Herr Dahlhaus, können Sie mich
hören?« Die Stimme klang sanft.
    Natürlich
höre ich Sie. Er nickte, nein, er glaubte zu nicken. Jemand
fuchtelte mit einer kleinen Taschenlampe vor seinem Gesicht herum.
Der Strahl blendete ihn durch die halb verschlossenen
Lider.
    »Nichts, keine
Reaktion. Seine Pupillen reagieren kaum auf das
Licht.«
    »Herr Dahlhaus,
hören Sie mich?« wiederholte die junge Frau. Ich
höre Sie!
    Ein Seufzer kam
über die Lippen der Frau. »Nichts, er reagiert gar
nicht.«
    Er wurde wahnsinnig
vor Angst. Hatte er doch zweimal auf die Ansprache der jungen Frau
reagiert, hatte ihre Fragen beantwortet. Und sie hatte nichts
gehört? Gefangen in seinem Körper, durchlebte er den wohl
schlimmsten Albtraum, den es im Leben eines Menschen gab. Er wollte
sich aufbäumen. Nichts außer Schmerz breitete sich wie
ein Fieber in ihm aus. Gefangen in seinem Körper, ohne
Erinnerung und gleichwohl bei vollem Bewusstsein. Er hoffte, aus
diesem Albtraum schnell zu erwachen, betete, dass es schnell vorbei
sein möge.
    Sie schlossen ihn an
irgendwelche Instrumente an. Er hörte wieder das monotone
Fiepen. Vermutlich ein Gerät, das seinen Puls überwachte.
Sein Puls ging schleppend, aber das wusste er auch ohne diese
verdammte Kiste, mit der sie ihn verkabelt hatten. Er fühlte
sich machtlos, müde und ausgebrannt. Ob wohl jede Operation
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