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Bittere Mandeln

Bittere Mandeln

Titel: Bittere Mandeln
Autoren: Sujata
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heraus und hielt sie hoch in die Luft.
    »Sie hat eine Waffe!« schrie Che. »Kameraden, wir müssen passiven Widerstand leisten.«
    Natürlich brach nun Chaos aus. Die Leute riefen einander auf spanisch und japanisch zu: »Vorsicht!«
    »Holt die Polizei!«
    »Passiver Widerstand!«
    Tante Norie hielt weiter die Schere hoch, und ich preßte das Päckchen mit Mrs. Moritas Tellern fest gegen den Körper, während wir uns durch die Menge schoben. Tante Norie zitterte, und ich hatte eine Laufmasche in der Strumpfhose, als wir schließlich einen Block weiter in einem Taxi Platz nahmen.
    »Das ist doch nicht zu fassen. Ich unterhalte mich mit den Leuten, und sie greifen uns an! Kannst du glauben, daß sie mich für gewalttätig gehalten haben?« Tante Norie schniefte in ihr Taschentuch.
    »Sie sollten sich nicht bloß auf die Kayama-Schule einschießen. Es gibt Hunderte von Ikebana-Schulen in Japan. Und die verwenden sicher alle Blumen aus Kolumbien!« Es überraschte mich selbst, daß ich die Kayama-Schule verteidigte, aber Che und seine Leute hatten mir einen ganz schönen Schreck eingejagt.
    »Unser iemoto gehört zu den zehn reichsten Menschen in Japan. Das macht ihn zu einer vielversprechenden Zielscheibe, aber es ist nicht fair, ihn so zu beschuldigen. Wenn diese jungen Leute nur eine halbe Stunde mit Masanobu-san verbringen würden, wüßten sie, was für ein großartiger Mensch er ist.«
    Vermutlich durfte Tante Norie den Vornamen des Schulleiters benutzen, weil sie früher bei ihm gelernt und sozusagen zum innersten Kreis gehört hatte. Als wir aus dem Taxi stiegen und uns dem Kayama Kaikan näherten, eilte der Portier, der mich noch am Vortag beobachtet hatte, ohne einen Finger zu rühren, sofort zur Tür, um sie für Tante Norie aufzuhalten.
    »Shimura-san, Sie sind wahrscheinlich hier, um die Mitsutan-Ausstellung vorzubereiten.« Die junge Frau an der Rezeption, die ein grünes Kostüm trug, bat meine Tante an ihren hochglanzpolierten Tisch, auf dem sich außer einer Vase mit einer einzigen weißen Calla, die genauso suggestiv wirkte wie eine von Georgia O’Keefe gemalte, nichts befand.
    »Ach, das Treffen hatte ich ganz vergessen. Miss Okada, können Sie uns sagen, wo es stattfindet?« fragte Tante Norie.
    »Im Unterrichtsraum im dritten Stock«, sagte Miss Okada. »Man wird dort sicher erfreut sein, daß Sie teilnehmen. Ihre Gestecke gehören immer zu meinen liebsten.«
    »Ach, meine Arbeiten sind bestenfalls Durchschnitt«, sagte meine Tante. »Ich muß Sie leider um etwas bitten. Ich habe hier ein Geschenk, für das ich hübsches Papier brauche. Gibt es hier im Haus irgendwo Geschenkpapier?«
    »Ich habe eine Rolle washi- Papier in meinem Büro. Es ist mit getrockneten Kirschblüten verziert und paßt genau zur Jahreszeit!« Miss Okada strahlte über diese Gelegenheit, Tante Norie zu helfen. »Wenn Sie sich zehn Minuten gedulden können, lasse ich das Geschenk für Sie einpacken.«
    »Ara! Wie können die Damen sich freuen, mich zu sehen, wenn ich nicht eingeladen bin?« fauchte Tante Norie, nachdem die Aufzugtüren sich geschlossen hatten und wir in den ersten, nicht in den dritten Stock hinauffuhren. »Bei dem Treffen wird sicher wieder geklatscht. Nun ja, unser Problem ist jedenfalls erledigt, wenn wir Koda-san und Sakura-san erst einmal die Geschenke gebracht haben.«
    »Hoffentlich finden wir die beiden, denn noch mal möchte ich nicht herkommen.« Inzwischen hatte mein Knie zu pochen begonnen, das ich mir in dem Chaos mit den Demonstranten verdreht hatte.
    Wir kamen an einem Großraumbüro mit Sekretärinnen vorbei, die an Computern arbeiteten und schwere Bleischürzen anhatten, wie ich sie tragen mußte, als mein Knie im Jahr zuvor geröntgt worden war. In Japan ging man davon aus, daß Computerbildschirme Strahlung abgaben, die die Fortpflanzungsorgane von Frauen schädigen konnten.
    Plötzlich sagte meine Tante: »Schau mal, da vorne, der Raum vor dem Büro. Da ist Natsumi Kayama, die Tochter des Schulleiters. Sie und ihren Zwillingsbruder Takeo wollte ich dir schon lange vorstellen.«
    Wir gingen auf Natsumi Kayama zu, Tante Norie strahlend, ich mit eher neutralem Gesichtsausdruck. Natsumi trug ein in sonnigem Gelb und Orange gemustertes Lilly-Pulitzer-Kleid, eine exklusive Marke, die man nur bei Mitsutan bekam, dazu orangefarbene Pumps mit Pfennigabsätzen, die ihre schlanken Beine wunderbar zur Geltung brachten. Mir fiel die Laufmasche in meiner Strumpfhose wieder ein, aber ich wußte nicht,
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