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Bittere Mandeln

Bittere Mandeln

Titel: Bittere Mandeln
Autoren: Sujata
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Norie kümmerte sich um sie, bis Hilfe kam. Ich eilte zu ihr, um zu sehen, was passiert war.
    Tante Norie hob den Blick. Ihr Gesicht war tränenüberströmt. Sie krächzte: »Bleib weg, Rei -chan! Bitte, schau nicht hin!«
    Aber ich hatte Sakura Sato bereits gesehen, die wie schlafend auf dem Rücken lag, die Augen geschlossen, der Mund offen. Ein paar Goldfüllungen waren zu sehen. Blut sickerte am Kragen ihrer weißen Seidenbluse herunter. Und dort, wo der rote Strom aus der Haut drang, steckte eine Ikebana-Schere. Ich erkannte den großen runden Griff und hob fragend den Blick zu Tante Norie.
    Doch sie war verschwunden.

3
    Ich floh in den Vorraum hinaus, wobei die Tür gegen das Paket mit den Tellern schlug, das ich draußen abgelegt hatte. Die Stockwerksanzeige über dem Aufzug leuchtete bei der Zahl acht auf, also wandte ich mich der Nottreppe zu und rannte nach unten. Ich hörte Schritte ein paar Treppenabsätze unter mir. Als ich im ersten Stock gleich neben dem Sekretariat ankam, fand ich dort meine Tante vor, die wimmernd in den Armen von Miss Okada lag.
    »Sakura«, stöhnte Tante Norie. »Sakura …« Als die Polizei eintraf, war unter den streng dreinblickenden Männern in blauen Uniformen auch ein junger japanischer Beamter mit widerspenstigen schwarzen Haaren und freundlichen braunen Augen, den ich bereits kannte. Lieutenant Hata von der Tokyo Metropolitan Police hatte mir im Vorjahr bei einer Reihe von Abenteuern geholfen. Eigentlich hätte mich seine Anwesenheit nicht überraschen sollen, denn schließlich gehörte Roppongi zu seinem Revier. Zur Begrüßung hob er leicht eine Augenbraue, sagte aber ansonsten nichts, vielleicht, weil ein Beamter der National Police Agency dabei war. Dieser Inspektor war ein herrisch dreinschauender Mann über Vierzig, der dem Portier, dem einzigen verfügbaren männlichen Angestellten der Kayama-Schule, mit lauter Stimme Fragen stellte.
    Als der Inspektor Tante Norie zu befragen begann, brach sie schluchzend an der Schulter von Miss Okada zusammen. Lieutenant Hata drängte sie, sich zu setzen, und der Inspektor fing an, mich auszuquetschen.
    Ich erklärte ihm gerade so genau wie möglich die Abfolge der Ereignisse, als der Aufzug mit einem Summen in unserem Stockwerk ankam. Die Türen öffneten sich, und dahinter leuchtete Natsumi Kayamas gelb-orangefarbenes Kleid auf. Sie stand mit dem Rücken zu uns und stritt sich lauthals mit jemandem im Lift.
    »Dein Benehmen ist einfach unerträglich«, sagte sie gerade zu ihrem Begleiter. Als dieser die Aufzugtüren, die sich eben wieder schlossen, aufhielt und an Natsumi vorbeiging, erkannte ich den coolen jungen Mann, der am Vortag im Ikebana-Kurs gewesen war. Statt der Jeans trug er jetzt einen legeren Leinenanzug. Er wirkte elegant und ziemlich verärgert, während er an Natsumi vorbei in die Halle trat.
    »Das kannst du nicht machen. Das brauchst du gar nicht zu versuchen!« Natsumi eilte ihm nach, doch als sie uns alle sah, blieb sie stehen und verneigte sich. »Ach, tut mir leid! Mein Bruder und ich hatten gerade eine kleine Auseinandersetzung. Ich hoffe, wir haben Sie nicht gestört.«
    Also war der junge Mann mit dem unverschämten Gesichtsausdruck, der sich während des Kurses im Hintergrund gehalten hatte, ein Kayama. Das schien einleuchtend, denn obgleich sowohl in Japan als auch in der restlichen Welt vornehmlich Frauen Ikebana praktizierten, waren die Schulleiter doch fast immer Männer. Ich fand es ungerecht, daß Takeo ganz automatisch den größten Teil des Geldes erben und den ganzen Ruhm einheimsen würde.
    »Warum sind Sie nicht an der Rezeption?« fragte Takeo Miss Okada. »Wenn die Beamten Hilfe brauchen, hätten Sie Mrs. Koda rufen sollen.«
    »Sie ist nicht hier! Ich habe sie überall gesucht!« sagte Tante Norie mit schriller Stimme. Dies war ihr erster vollständiger Satz seit Eintreffen der Polizei.
    Lieutenant Hata wandte seine Aufmerksamkeit von mir ab und dem Kayama-Erben zu. Als er sich Takeo Kayama vorstellen wollte, fiel der junge Mann ihm ins Wort.
    »Schön, Sie kennenzulernen. Wir haben bereits Geld für die Verschönerung des Viertels gespendet.«
    Lieutenant Hata erklärte Takeo mit einem gezwungenen Lächeln, daß er nicht die Absicht habe, Geld zu sammeln. Vielmehr hätten Norie und ich im dritten Stock Sakura Sato gefunden, bei der die Sanitäter nur noch den Tod hatten feststellen können.
    Bei dieser nüchternen Schilderung der Fakten stieß Natsumi einen kleinen Schrei aus und begann
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