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Bitte Einzelzimmer mit Bad

Bitte Einzelzimmer mit Bad

Titel: Bitte Einzelzimmer mit Bad
Autoren: Evelyn Sanders
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Fabian Demosthenes. Stell dir bloß mal vor, der müßte seine Artikel auch mit den Initialen abzeichnen. Kein Mensch würde die lesen!«
    »Glauben Sie denn, Ihre liest jemand?« fragte Waldemar, bevor er im Eilschritt den Rückzug antrat. Vor der Tür stieß er mit Barbara zusammen, die maulend ihren Stenoblock durchblätterte. »Elf Seiten lang hat der Alte über Bildungsnotstand und Schulreform gefaselt, und zum Schluß wollte er von mir wissen, ob ich Ovid im Originaltext gelesen hätte. Als ob ich in der Schule Griechisch gelernt hätte …«
    »Ovid war ein Römer und sprach Latein!« bemerkte Karsten vorwurfsvoll.
    Barbaras Kopf flog herum. »Was machst
du
denn hier?«
    »Och, ich war gerade in der Nähe, und da habe ich gedacht, ich könnte dich doch nach Hause bringen.«
    »Kannst du deine Karre nicht alleine schieben?« Barbara setzte sich an ihren Schreibtisch, fischte Manuskriptpapier aus der Schublade und versuchte stirnrunzelnd, ihr Stenogramm zu entziffern.
    »Seitdem ich eine neue Zündkerze drin habe, läuft der Roller wieder tadellos«, entrüstete sich Karsten. »Bloß der linke Blinker funktioniert noch nicht; aber wir müssen ja sowieso nur rechts abbiegen.«
    »Vielen Dank, ich nehme lieber den Bus. Außerdem muß ich erst die geistigen Höhenflüge unseres Ayatollahs abtippen, und das dauert noch eine Weile. Fahr lieber nach Hause und pauke Latein! Das schiebst du schon seit drei Tagen vor dir her.«
    »Die Arbeit schreiben wir erst übermorgen, und eigentlich wollte ich dich ja auch nur anpumpen. Mein Taschengeld liegt doch weit unter dem Durchschnittseinkommen meiner Kumpel, bloß Vati will das nicht einsehen. Nun gibt es im Roxy den tollen Science-fiction-Film, da wollen wir heute rein. Ich bin aber total pleite. Hab’ gestern sogar meine letzte Zigarette geraucht!«
    »Deine vielleicht, aber an
meinen
hast du kräftig drangesessen.« Barbara schob ihrem Bruder eine halbvolle Packung über den Tisch. »Nimm sie und verschwinde! Ich habe zu tun!«
    »Und das Kinogeld?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Gibt es nicht!«
    »Nun sei nicht so geizig, Tinchen, schließlich warst du doch auch mal jung!«
    »Wirst du wohl sofort den Mund halten!« zischte Barbara leise, »diesen albernen Namen kennt doch hier niemand.«
    »Entweder du rückst jetzt zehn Mark raus, Tinchen, oder …«
    »Oder was ist mit Tinchen?« Unbemerkt war Florian an den Schreibtisch getreten. Sichtlich erheitert musterte er den schlaksigen Jüngling. »Wenn
ich
dir jetzt die zehn Mark nicht nur pumpe, sondern sogar schenke, verrätst du mir dann, was es mit dem geheimnisvollen Tinchen auf sich hat?«
    Entsetzt sah Barbara von ihrer Maschine hoch. »Wehe, wenn du den Mund aufmachst!«
    Karsten schielte sehnsüchtig auf den Geldschein, mit dem Florian so verlockend vor seinem Gesicht wedelte. Schließlich griff er danach und meinte entschuldigend: »Jeder ist sich selbst der Nächste, und Egoismus ist ja auch bei dir eine sehr ausgeprägte Tugend! Also: Meine Schwester, die vor siebenundzwanzig Jahren als Tochter des Uhrmachermeisters Ernst Pabst geboren wurde, sollte ein Junge werden und die Dynastie der Päbste als Ernst der Vierte fortsetzen. Entgegen der Familientradition wurde sie bloß ein Mädchen, worauf ihr Vater seinen Kummer in Schwarzwälder Kirschwasser ersäufte. Als er wieder nüchtern war, beschloß er – wohl aus Rache! –, seine Tochter auf den wohlklingenden Namen Ernestine taufen zu lassen. Später nannte er sie dann Tinchen. Da mein Erscheinen damals weder voraussehbar noch geplant gewesen war, kam ich in den Genuß eines neuzeitlicheren Namens, wofür ich meiner Schwester zu lebenslangem Dank verpflichtet bin.«
    »Du bist ein ekelhaftes Waschweib!« giftete Barbara, griff nach dem erstbesten Gegenstand, der ihr in die Hände kam, und schleuderte ihn in Karstens Richtung. Leider handelte es sich dabei um eine Kaffeetasse, und leider verfehlte sie ihr Ziel. Sie schoß vielmehr haarscharf an Florians Kopf vorbei und landete im redaktionseigenen Gummibaum, der an solche Behandlung nicht gewöhnt war und zwei Blätter abwarf. Nun waren es nur noch acht, was bei einer Stammlänge von 1,37 m nicht eben viel ist.
    »Volltreffer!« rief Florian. »Morgen veranstaltet Frau Fischer wieder ein Staatsbegräbnis.«
    Frau Fischer gehörte zum Ressort ›Reise und Erholung‹, das keine eigene Kaffeemaschine besaß und deshalb regelmäßig im Sekretariat nassauerte. Als Entgelt wurde der herrenlose Gummibaum zweimal
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