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Bitte Einzelzimmer mit Bad

Bitte Einzelzimmer mit Bad

Titel: Bitte Einzelzimmer mit Bad
Autoren: Evelyn Sanders
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hatte, suchte ihre Handtasche, fand sie an der Stehlampe hängend und kippte ihren Inhalt kurzentschlossen auf dem Couchtisch aus. Zwischen Lippenstift, Geldbeutel, Monatskarte, abgerissenem Jackenknopf, Kopfschmerztabletten und einer Anleitung zur Aufzucht von Igeln fand sie endlich das Gesuchte: Einen schon reichlich zerknitterten Zeitungsausschnitt, der sich mit den Belangen der Berufsfeuerwehr befaßte. Tinchen interessierte sich allerdings mehr für die Rückseite, und die bestand aus einer Anzeige mit folgendem Text:
    TOURISTIK - UNTERNEHMEN
sucht unabhängige Damen und Herren für interessante Reisetätigkeit. 25–35 Jahre, ansprechendes Äußeres, sicheres Auftreten, Organisationstalent. Gute Sprachkenntnisse in Italienisch bzw. Spanisch Bedingung. Zuschriften erbeten unter …
    Seit zwei Tagen schon trug Tinchen dieses Inserat mit sich herum, und genausolange überlegte sie, ob sie die verlangten Voraussetzungen erfüllen würde. 25–35 Jahre stimmte, mit 27 lag sie genau richtig, auch wenn sie angeblich jünger aussah. Aber dem konnte man vielleicht mit ein paar hellgrauen Strähnen im dunklen Wuschelkopf abhelfen, die würden sie sicher seriöser machen. Dazu eventuell eine leicht getönte Brille mit Fensterglas? Eine ganz elegante natürlich, so eine, wie die Klinger aus der Moderedaktion sie trug.
    Zweiter Punkt: ansprechendes Äußere. Tinchen öffnete die Schranktür und betrachtete sich kritisch im Innenspiegel. Die Figur war ganz ordentlich geraten, ein bißchen klein vielleicht, aber mit hohen Absätzen erreichte sie spielend 167 Zentimeter. Und daß sie schaumstoffgepolsterte Büstenhalter trug, konnte man schließlich nicht sehen. Dafür war sie fein heraus, wenn die Mode mal wieder Twiggy-Figuren vorschrieb.
    Das Gesicht? Guter Durchschnitt, fand sie. Vielleicht ein wenig blaß, aber dadurch kamen die dunklen Augen besser zur Geltung. Und außerdem wurde sie regelmäßig schon im Frühling von den ersten Sonnenstrahlen braun. Nach dem Urlaub sah sie dann immer aus wie eines der Eingeborenenmädchen auf den Bildern von Gauguin. »Genau wie ’ne Knackwurst, bloß nicht so saftig«, pflegte ihr Bruder die mühelos erworbene Bräune zu kommentieren, aber daraus sprach natürlich nur der blanke Neid. Karsten wurde lediglich krebsrot und pellte sich nach drei Tagen wie eine Salatkartoffel.
    Nein, also an ihrem Äußeren fand Tinchen nichts auszusetzen. Besonders stolz war sie auf ihre langen Beine, die erst in Shorts so richtig zur Geltung kamen. In südlichen Breiten sind diese Kleidungsstücke bei Touristen ja überaus beliebt. Auch Tinchen besaß fünf Stück in verschiedenen Farben.
    Sicheres Auftreten? Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und versuchte, energisch und zielbewußt auszusehen. Sie sah aber bloß aus wie Mary Poppins – nur der Regenschirm fehlte noch. Quatsch! Imponiergehabe kann man lernen!
    Organisationstalent? Und ob sie das hatte! Wer in einer Zeitungsredaktion nicht über Organisationstalent verfügte, hatte bald keinen Stuhl mehr unter dem Hintern und keine Kaffeetasse mehr im Schreibtischfach.
    Sprachkenntnisse! Das war der Angelpunkt, um den sich alles drehte. Tinchen bereute bitter, seinerzeit als Au-pair-Mädchen nach London gegangen zu sein und nicht nach Mailand oder Madrid. Was nützte es jetzt, daß sie nahezu fließend englisch sprach, auf spanisch aber nur den Satz »Dónde está el lavabo de señoras?« zusammenbrachte, was so viel bedeutete wie »Wo ist die Damentoilette?«
    Mit dem Italienischen ging es ein bißchen besser, denn nicht umsonst hatte Tinchen schon seit Jahren regelmäßig ihren Urlaub in Italien verbracht und die ganze Adria-Küste von Rimini bis Bari abgeklappert. Sie war durchaus in der Lage, sich ein komplettes Mittagessen zu bestellen, aufdringliche Papagalli zu beschimpfen und auf Wochenmärkten wie ein orientalischer Teppichhändler zu feilschen. Ob diese Kenntnisse aber ausreichen würden, eine Herde Touristen durch das Landesinnere zu führen und vor Schaden zu bewahren, bezweifelte sie denn doch. Andererseits kann man Sprachen lernen, und am besten lernt man sie vor Ort. Und überhaupt kommt man mit Englisch überall durch! Weshalb sonst hätte man es als Verkehrssprache bei der UNO , der EG und bei den Fluglotsen eingeführt?
    Bliebe nur noch die letzte Bedingung der Anzeige zu erfüllen, nämlich ›unabhängig‹. Paps würde Tinchens Reisepläne großartig finden, denn er war schon immer der Meinung gewesen, daß sich junge
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