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Bismarck 02

Bismarck 02

Titel: Bismarck 02
Autoren: Karl Bleibtreu
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unserer Haut schneiden, denn das edle ›Prinzip‹ benimmt uns die Möglichkeit, uns mit Frankreichs Hilfe solcher Prozedur zu widersetzen. Wir sind wie ein zu nachsichtiger Ehemann, der von Fall zu Fall den schuldigen Teil in flagranti ertappt, aber immer ein Auge zudrückt.«
    »Wie stellt sich denn Herr v. Gerlach seine Prinzipien in praktischer Durchführung vor?« fragte der Schüler bescheiden.
    »Indem er solche in historischen Diskursen erfindet. Karl der Große und die deutschen Kaiser politisierten über das Christentum, der Deutsche Orden und Brandenburg dito, Österreich und Rußland für das Kreuz gegen den Halbmond, später Preußen und England für den Protestantismus, und die ganze neue Staatenordnung dreht sich um Kampf gegen die Revolution. Wir haben dagegen gesündigt, und müssen uns rehabilitieren, indem wir Frankreich möglichst vor den Kopf stoßen und bündnislos herumtaumeln. Das ist der Weisheit letzter Schluß, so geht die Litanei weiter. Daß Karl der Große und alle anderen Potentaten verdammt praktische Zwecke hatten und daß Phrasenzubehör nur für Ammengläubige die Zutat bildet, verstehen solche verrannten Ideologen nicht. Die republikanische Revolution stammt aus Holland, England, Nordamerika, die wir bereitwillig anerkannten, noch ehe Verjährung eintrat, die Bonapartes haben das Übel nicht zur Welt gebracht, sondern die Bourbons, die taten mehr dafür als alle Bonapartes.«
    Was man hier zu hören bekommt! dachte der preußische Jungherr. Darf man sich dann noch konservativ nennen?!
    *
    Er besuchte auch wieder mal Metternich in Johannesberg, dessen unvergleichlicher Wein ihn mehr anzog als seine Unterhaltung. Er fand ihn noch mehr gealtert als vor Jahren in Wien, wo er ihn flüchtig wiedersah. Der alte Knabe erzählte wild durcheinander, ohne viel Zusammenhang und Pointe.
    »Napoleon war ein bäuerischer Parvenü. Ach, wenn Sie Talleyrand gekannt hätten, unser aller Meister! Kennen Sie den Witz, wie Louis Philippe, der elende Renegat, den großen Mann auf dem Totenbett besuchte? ›Ich leide wie in der Hölle.‹ ›Schon?!‹ Ich nenne das roh. Nun, mein Gewissen ist rein. Ich habe das Gute geliebt und das Rechte getan. Die Kaiserin Ludovica war eine schöne Frau. Die erhabene Monarchin hat mal in einem Brief den abscheulichen Tiroler Bauern allerhöchsteigenhändig den Kopf gewaschen, daß sie sich ohne allerhöchsten Befehl des Landesvaters befreien wollten. Wenn sich die Völker selbst befrein, da kann die Wohlfahrt nicht gedeihn ... Schiller hatte lichte Momente und war überhaupt nicht der Narr, zu dessen Heiligkeit die liberalen Faselhänse beten. Da werden Weiber zu Hyänen ... ach, wenn ich noch an Fürstin Galizin denke, und Frau v. Liewen, wenn diese entzückenden Damen Migräne hatten! Einmal, als ich ein Riechsalz holte ... doch, was ich sagen wollte, Mazzini ist ein Irrsinniger, dagegen Kossuth ein Staatsmann der Revolution.« In diesem Tone ging es fort. Dabei weiß er von Kossuth so wenig wie von Mazzini, der Diplomat alten Stils schöpft jedes Urteil aus den Tiefen seines Gemütes, ungetrübt von Sachkenntnis, und hätte Metternich keine Buhlweiber in Paris gehabt, so hätte er dort so wenig erfahren wie anderswo. Diese Leute kommen wie die Fürsten nie in Berührung mit dem Volke, und von fremden Höfen lernen sie nur die Menüs auswendig.
    Immerhin blitzte einmal ein Funke der alten Pfiffigkeit auf, das faltige Gesicht belebte sich und straffte sich mit gehaltenem Ernst: »Ich denke mir, liebe Exzellenz, Sie möchten sich bei mir ausklagen. Sie haben Grund dazu. Als Sie das erstemal hier waren, betonte ich gelegentlich, daß mein System früher verlangte, Österreich möglichst aus den häuslichen Angelegenheiten Deutschlands herauszuziehen und Preußen dort möglichst freie Hand zu lassen. Ich äußerte mich zu Thun-Hohenstein in diesem Sinne und glaubte ihn ähnlich instruiert. Seither nahm ich mit Leidwesen wahr, daß die Politik Schwarzenbergs, die ich perhorreszierte, von Buol-Schauenstein womöglich in noch schärferem Tempo fortgesetzt wird. Umsonst spreche ich mein Mißfallen aus, man hört nicht mehr auf den alten Mann. Merken Sie sich aber, daß ich das Vorgehen gegen Preußen nicht billige, und Graf Rechberg mich deshalb in Wien anschwärzt, wenn ich mal wieder in Frankfurt durchkomme und ihm die Leviten lese, wie es meinem Alter und meiner Erfahrung zukommt.«
    »Euer Durchlaucht erkennen also das Mißliche dieser ewigen Trakasserien für
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