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Bismarck 02

Bismarck 02

Titel: Bismarck 02
Autoren: Karl Bleibtreu
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reine Geistesarbeiter, der still für sich schafft, auch den zahllosen Störungen und Reibungen der Materie entrückt, welche täglich und stündlich die Tatarbeit in Frage stellen. Der Dichter, Denker, Künstler, Forscher bedarf an und für sich nicht der Außenwelt und ihrer Erfolge für sein Werk, nur menschliche Bedürftigkeit und Eitelkeit verlocken ihn, für seine Person danach zu verlangen, was übrigens bei den wahrhaft Genialen auch nicht mal zutrifft. Die verlangen höchstens den Erfolg ihres Werkes, nicht des eigenen Ich. Der Tatmensch aber genießt nie solche Unabhängigkeit von der Außenwelt, an die er untrennbar gekettet bleibt, die ja gleichsam sein Stoff bleibt, in dem er knetet. Bleibt nun hier der äußere Erfolg aus, so können das stärkste Genie und die hingebendste Arbeit kein Werk vollenden, der Liebe Müh umsonst, unfruchtbare Vergeudung der Kräfte. Von solchen Gescheiterten wimmelt die Geschichte seit den Gracchen, Catilina, Julian Apostata, und da der siegende Feind nachher die Geschichte schreibt, so wissen wir nichts Genaueres von ihrem wahren Wesen, und was sie wollten und hätten erreichen können. Wahrscheinlich stand Cesare Borgia an Genialität hoch über Mazzini, Garibaldi, Cavour, doch weil sein Traum einer Italia Unita in Scherben ging, kennen wir ihn nur als Ungeheuer. Ein Tatmensch ohne Erfolg ist nichts, ein Schemen, und sei er noch so groß.
    »Mein lieber Becker,« erwiderte der Kanzler des Deutschen Reiches mit kühler Ruhe, »Sie überschätzen das. Ich las irgendwo, Napoleon habe die Frage, ob er nicht bei seinen großen Triumphen eine hohe Befriedigung empfand, rundweg abgelehnt: Gar keine! Denn das alles sei zwischen Abgründen geschehen, die nur er selber sah. Und so wird es wohl immer sein. Im magischen Widerschein des sauer erworbenen Erfolges sieht die Welt alles äußerlich und verkehrt, auch hier regiert wie immer der Schein. Was mir Deutschlands endlicher Sieg gekostet hat, wird Deutschland nie erfahren. Der ganze innere Mensch geht drauf, man wird hart wie der hörnene Siegfried im Bad von Drachenblut, aber man weiß sehr wohl, daß ein Lindenblatt auf die Achsel fiel und daß man verwundbar blieb an todesgefährlicher Stelle. Und Sie glauben wohl, nun sei die Arbeit getan, nun kann ich ausruhen? Bilden Sie sich nur keine Schwachheiten ein! Nun geht die schwerste Mühe an, die trockene prosaische Geschäftigkeit und Geschäftlichkeit, das Erworbene zu wahren. Unser Heroenzeitalter ist nun geschlossen, der poetische Schwung, die Begeisterung für nationales Ideal. Jetzt werde ich das Vergnügen haben, mich zehnmal mehr als früher mit höfischen und parlamentarischen Strebern zu balgen. Solange mein alter Herr lebt, werd' ich's aushalten. Denn auf dessen Weisheit und Treue kann ich mich verlassen, auf ihn allein. Doch was später kommt, wissen die Götter. Jedenfalls muß ich mich plagen und leiden bis ans Ende. Überschaut man sein Leben, hat man keine vier Wochen, vielleicht keine vier Tage wirkliches Behagen gehabt. Ich bin viel jünger als der König und Moltke, jünger als die meisten, die mittaten am großen Werk, doch ich fühle mich uralt und abgestumpft für alles, was einst reine Freude war.«
    Der Ästhetiker starb völlig in ihm ab. Diese ursprünglich auf ästhetischen Genuß und einen gewissen genialen Müßiggang gestellte Natur, ähnlich wie bei Friedrich dem Großen, wandelte sich von Grund aus in einen eisernen Pflichtmenschen. Für das Gedeihen der Deutschen sich aufzureiben in rauher praktischer Tagesarbeit, nur so hatte das Leben für ihn Sinn. Ob Faustens unsterblicher Teil dabei nicht zu kurz kam? Ob die endliche und unumschränkte Autorität, die er gegen tausend kleine Nadelstiche wahren mußte, nicht auch das Allzumenschliche förderte, was früher hinter ihm lag im wesenlosen Scheine? Der große Dramatiker, sein eigener Regisseur, dem man freie Hand ließ, wurde selber zum Drama. Die lange Tragödie seines leidensvollen Daseins mußte noch schärfer sich zuspitzen, bis er in die Heide floh wie Lear vor den Undankbaren, deren Ich sich doch nur logisch seiner eigenen Ichgewalt entgegenstemmte. Der große Idealist und Materieverächter schuf ein Geschlecht von rohen Erfolganbetern und Mammonisten. Schon lag die Gründerzeit in der Luft. Und er selber tat nichts dagegen, konnte nichts dawider tun, auf seiner Warte europäischer Politik immer nur den Blick auf Reinpolitisches gerichtet. Immer wieder flammte der alte Idealismus in ihm empor,
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