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Bismarck 02

Bismarck 02

Titel: Bismarck 02
Autoren: Karl Bleibtreu
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Deutschlands Los. Der vorgeahnte Faust – denn Goethe hat nicht den Menschen, sondern den deutschen Menschen verewigt – trieb sich mit der schönen Helena herum, ließ sich mystisch von Gretchen erlösen und baute den deutschen Deichdamm, endlich die lang vergebens gesuchte Selbstbefriedigung findend. Doch die Welt, besonders das Ausland, sah in ihm nur einen der rohen Kraftgesellen, die Faust und Mephisto dem Kaiser zu Hilfe führen. Und Deutschland, das Land hoher, doch wesentlich wissenschaftlicher nicht künstlerischer Kultur, wird von Völkern, deren geistige Durchbildung, nach dem Grade der Durchschnittsmasse bemessen, unermeßlich tiefer steht, mit den niedrigsten Schimpfereien und Verleumdungen überhäuft, als sei es nichts als eine öde Kaserne voll Soldaten, Beamten und Schulprofessoren. Das neue Deutschland der Techniker und Geschäftsleute glich weniger als irgendein anderes einem Land der Dichter und Denker, und es mußte eine Prüfung kommen der ungeheuersten Art, um aufs neue darzutun, daß die Stärke und Tiefe des deutschen Gemüts auch durch den ödesten Mammondienst nicht verschüttet werden kann.
    *
    Frankfurt! Als unter brausendem Jubel der große Einsame lauthallenden Trittes durch die wohlbekannten Straßen schritt, stürmten unbeschreibliche Gefühle auf ihn ein, wie nie auf einen Sterblichen, hier durchlebte er Deutschlands tiefste Erniedrigung, viel länger und unerträglicher als einst das korsische reinigende Gewitter, dumpfer und stickiger, als selbst die Lugdreifaltigkeit der heiligen Allianz die vormärzliche Zeit verseuchte. Hier hatte er gerungen wie der Patriarch der Bibel mit dem Unbekannten: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn! Und der Genius deutscher Geschichte hatte ihm nur die Hüfte verrenkt. Aber wer immer strebend sich bemüht, den wird das Schicksal endlich erlösen, und der oft auf den Tod Ermattete stand immer noch fest und aufrecht da, endlich als Sieger, der auf den Kopf der Schlange trat. Es war vollbracht.
    »Ja, das sind wohl sonderbare Erinnerungen«, gab er seinem alten Bekannten Becker zu verstehen. »Die Schmach der Fremdherrschaft, die der Korse uns aufzwang, brachte auch segensreichen Regen mancher Befruchtung, dies Gewitter zerstörte nicht nur und ohne jenen wären wir nicht nach Sedan gekommen. Doch die acht Jahre, die ich hier in der alten Kaiserstadt durchlitt, zehrten an Deutschlands Mark nicht als gewaltsamer Ausnahmezustand, sondern als chronische Krankheit gesetzlich verbrieften deutschen Elends.« Just diese Stätte, wo der selige Bundestag als Sinnbild von Zerfahrenheit und Zwietracht sein trauriges Dasein fristete, wählte der Einiger und Erbauer für endgültigen Abschluß des glorreichsten Friedens.
    »Und Sie allein haben alle unsere Träume erfüllt!« rief Becker tiefbewegt. »Wenn wir Fernstehenden, die wir aber hier mit Ihnen darbten und schmachteten im Wirrsal ohne Ende, schon so bis ins Innerste erschüttert sind von solcher Wandlung der Dinge, was müssen Sie selber empfinden! Was wir wenigen, die gläubig zu Ihnen aufschauten, leise ahnten, das ging über alle Begriffe in Erfüllung. Sie sind heute der größte Mann auf Erden, der Ruhm deutscher Nation. Welcher Stolz und welche Befriedigung muß Ihr Herz erfüllen!«
    Otto hatte ein geheimnisvolles Lächeln. Der Ruhm scheint süß, nur nicht für solche, die ihn verdienen. Ruhmsucht und Ehrgeiz gehören zum Allzumenschlichen, dem sich keiner entziehen kann, doch im letzten Grunde treiben sie nur den Charlatan. Den Schöpfer befriedigt nichts als sein Werk, nie der Beifall einer wertlosen Außenwelt. Doch jedes Menschenwerk bleibt unvollkommen, und das bleibt niemandem minder verborgen als dem Schöpfer selber. Was vorlaute und superkluge Krittler tadeln, wußte er längst zuvor, sofern die Kritik überhaupt Berechtigung hat. Doch es ließ sich eben nicht ändern aus inneren Ursachen, die nur er selber kennt. Und da noch nie ein Großer etwas Großes tat für die süßen Stimmen des Pöbels und irgendwelchen weltlichen Lohn, sondern weil er mußte, weil sein Dämon ihn unerbittlich beherrschte, wie kann ihn je äußerer Erfolg belohnen für die unsägliche Mühsal, das unaufhörliche Leiden, das mit jedem Ringen nach Großem untrennbar verbunden! Das Große ist um seiner selbst willen da, immer mit Schmerzen geboren, und den Großen entschädigt nichts für seine Herkulesarbeit als die Erfüllung seines Schaffenstriebs. Darin aber hat das Tatgenie es viel schlechter, als der
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