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Bis Zum Letzten Tropfen

Bis Zum Letzten Tropfen

Titel: Bis Zum Letzten Tropfen
Autoren: Charlie Huston
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solltest die New York Post anrufen und ein Exklusivinterview geben, bevor’s zu spät ist.
    Sie wischt sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Das tätowierte Kreuz zwischen Daumen und Handrücken glänzt feucht.
    – Ich sage ja nicht, dass es falsch war. Ich sage nur, du hättest es etwas ruhiger angehen sollen.
    – Klar. Ich hätte auch eine schöne, mucksmäuschenstille Frauenleiche mit gebrochenem Genick zurücklassen können. Dann hätten sie eine Autopsie durchgeführt und rausgefunden, dass sie nur noch eine halbe Zunge hat. Die wäre jedoch hübsch rosa und makellos gewesen, als wäre sie damit geboren. Wenn ihre Familie das rausgefunden hätte, hätte sie garantiert Wirbel gemacht. Eine halbe Zunge? Wovon sprechen Sie? Ach ja, und der Gerichtsmediziner hätte sich sicher auch gefragt, wo die Hälfte ihres Bluts hingekommen ist, obwohl keine einzige Wunde zu sehen ist.
    Sie drückt den Filter ihrer Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger platt.
    – Scheiße, ich hätte dich an die Mungiki ausliefern können, als du hier aufgekreuzt bist. Dann lägst du jetzt im gottverdammten Fluss. Aber du hast versprochen, dass du mir keinen Stress machst. Wenn ich also mit dir über Sachen reden will, die mir doch Stress machen, hast du gefälligst zuzuhören und nicht den harten Mann zu spielen, klar?
    Ich schnippe etwas Asche ab.
    – Ich wusste nicht, dass du was mit den Mungiki am Laufen hast.
    Sie zündet sich eine weitere Pall Mall an.
    – Tja, anscheinend weißt du nicht alles, was hier abgeht, oder?
    – Nein.
    – Mit den Mungiki hat keiner was am Laufen. Aber seit sie nach Queens gekommen sind, tu ich ihnen ab und zu einen Gefallen.
    – Wie kommt’s?
    – Ich war mal mit einem zusammen.
    – Du warst mit einem Mungiki zusammen? Hatte der auch angespitzte Zähne?
    Sie wirft mir einen ihrer vielsagenden Blicke zu.
    – Glaub doch nicht alles, was du hörst. Mann, die feilen sich nicht die Zähne.
    Sie beobachtet eine Handvoll Pärchen, die nach der letzten Vorstellung aus dem Multiplex strömen.
    – Jedenfalls nicht alle. Außerdem war er da noch kein Mungiki. Nur ein ganz normaler Kerl.
    – Also, das ist ja alles sehr interessant. Aber wenn wir uns jetzt gegenseitig genug bedroht haben, würd ich mich gerne wieder auf die Socken machen. Rausfinden, was das für Kids sind.
    Sie pustet Asche von ihrer Zigarettenspitze.
    – Lass die Kids in Ruhe.
    Ich mustere sie.
    – Gibt’s dafür einen Grund?
    Sie erwidert meinen Blick.
    – Weil ich es gesagt habe.
    Wir starren uns an, während ich diese Information verdaue.
    Sie sieht aus wie einundzwanzig, höchstens. Ist sie älter? Ja, aber nicht viel. In der Bronx kann man einfach nicht genug Blut auftreiben, um den Alterungsprozess vollständig aufzuhalten. Ich zum Beispiel sah vor ein paar Jahren noch wie Ende zwanzig aus. Inzwischen gehe ich gerade noch als fünfunddreißig durch. Wenn es so weitergeht, sieht man wirklich bald die achtundvierzig, die ich auf dem Buckel habe.
    Sie hat den Vorteil der Jugend. Echter Jugend, nicht einfach geborgter Zeit.
    Sie hat lange Beine, trägt Khakihosen und weiße Retroturnschuhe, ein schwarzes Tanktop, das sie in die Hose gestopft hat und das sich über ihrem schwarzen Sport-BH spannt. Ihre Schultern, Arme, Hände und der Nacken sind mit Tätowierungen bedeckt, dunkle Muster auf brauner Haut. Ihr schwarzes Haar ist kurzgeschnitten und mit Gel an den Kopf geklatscht. Sehnen zeichnen sich an ihren langen Armen ab. Ihre Muskeln hat sie vom Basketballspielen mit den Jungs im Rucker Park auf der anderen Seite des Flusses.
    Esperanza Lucretia Benjamin.
    Sie ist wohl das, was in der Gegend um den Concourse einem Boss am nächsten kommt. Sie ist die Einzige, die aufpasst, dass nichts an die Öffentlichkeit dringt, und die Einzige, die mit den Mungiki verhandeln kann und danach noch den Kopf auf den Schultern trägt. Sie ist eine echt harte Nummer.
    Und so eine Art Gefängnisdirektorin.
    Es gibt zwei Möglichkeiten, das Gefängnis durchzustehen.
    Die eine ist, den Ball flach zu halten, sich an die Wand zu drücken, wenn die großen Tiere vorbeikommen und zu hoffen, dass niemand mitkriegt, wie harmlos du eigentlich bist, und wie gerne du deine Zeit hier bereits abgesessen hättest, um wieder in dein normales Leben zurückzukehren. Du verbringst die Tage damit, die Minuten zu zählen, bis irgendwann jemandem auffällt, dass du einen sehr schönen Mund hast.
    Die zweite Möglichkeit ist, sich erst mal umzusehen und
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