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Bis Zum Letzten Tropfen

Bis Zum Letzten Tropfen

Titel: Bis Zum Letzten Tropfen
Autoren: Charlie Huston
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sich dann den Stuhl auszusuchen, von dem aus man den besten Blick auf den Fernseher hat. Du gehst zu dem Skinhead hinüber, der gerade drauf sitzt, spuckst ihm ins Gesicht und rammst ihm das zugespitzte Ende deiner Zahnbürste ins Ohr. Dann weiß jeder Bescheid: Du bist hier kein Gast, das hier ist dein Zuhause. Wenn du dann aus der Einzelhaft entlassen wirst, wartet der leere Stuhl bereits auf dich. Du musst dich einfach nur hineinfallen lassen und kannst in Ruhe General Hospital angucken.
    Man kann sich ja denken, für welche Variante ich mich entschieden habe.
    Ich hab mir seinerzeit ein Plätzchen im Franz Sigel Park gesucht, direkt an der Ecke Walton Avenue und Mabel Wayne Place, wo dieses lustige rot-weiß-blaue Schild steht: The Bronx. All-American City. Es war ein kleines Versteck mit Bäumen, Unkraut und Felsen, das roch, als wäre hier irgendein Arsch schon jahrelang am Werk.
    Ich beobachtete das Versteck, wartete, bis er jemanden an seinen Lieblingsplatz geschleppt hatte, und als er gerade das Buffet eröffnen wollte, schlich ich mich an ihn ran und brach ihm an drei Stellen das Rückgrat. Dann ließ ich ihn gelähmt da liegen, damit er mir zugucken konnte, wie ich an der gedeckten Tafel Platz nahm.
    Ich hab ihm in seinen Hinterhof geschissen, sozusagen.
    Dann hab ich ihn getötet.
    Es hat nicht lange gedauert, dann stand Esperanza auf der Matte. Hat mir klargemacht, dass sie hier das Gesetz ist und wie ihre Vorstellungen von guter Nachbarschaft aussehen. Hat mir verklickert, dass in der Bronx die Gegend um die 161st Street und den Concourse dem, was man als Zivilisation bezeichnet, wohl am nächsten kommt. Und dass ich den Ball flach halten muss, wenn ich hier mitspielen will. Ich habe ihr klargemacht, dass sie mir aus der Seele spricht, und lieferte den Beweis, indem ich ihr die Leiche des Kerls zeigte, der im Franz Sigel Park sein Unwesen getrieben hatte. Wie sich herausstellte, war der Kerl die Ursache für die ganzen Monster-im-Park -Storys, die unter den Anwohnern kursierten. Genau die Art von Geschichten, die unerwünschte Aufmerksamkeit erregen.
    Sie war hocherfreut.
    Und ich war in der Bronx zu Hause.
    Mal wieder.
    Nicht, dass mich irgendwann ein Anfall von Nostalgie nach Hunt’s Point zu meinem Elternhaus geführt hätte. Da hätte ich mich wohl schwer zurückhalten müssen, um es nicht niederzubrennen. Und die Mühe hätte sich sowieso nur gelohnt, wenn meine Eltern noch dort gewohnt hätten. Was ich jedoch stark bezweifle.
    Auf jeden Fall war es nicht leicht, gut Wetter bei dieser Frau zu machen. Und hat man das erst mal geschafft, will man auf keinen Fall ins Fettnäpfchen treten.
    Vor allem nicht, solange man sich auf ihrem Territorium befindet.
    Unsere Zigaretten gehen aus, und wir hören kurz auf, uns anzustarren, um uns die nächsten anzuzünden.
    Ich inhaliere Rauch und blase ihn wieder aus.
    – Okay, ich halte mich von den Kids fern.
    Sie sieht mich prüfend an und nickt.
    – Gut, das hätten wir also geklärt.
    Ihre Fingerspitze berührt ihren Mundwinkel.
    – Hast du für den Rest der Nacht schon was vor?
    Ich wedle mit meiner Zigarette.
    – Rauchen. Geld für mehr Zigaretten klauen. Mich vor allen verstecken.
    – Klingt gut.
    – Klar. Und später mach ich’s mir dann gemütlich mit einem guten Buch und einer exzellenten Flasche Chardonnay.
    – Brauchst du Gesellschaft?
    Ich betrachte sie. Erst aus den Augenwinkeln, dann direkt. Wieso auch nicht? Sie weiß sowieso, dass ich sie ansehe.
    Diese Lady, eine wirklich verteufelt heiße Braut, fragt mich, ob ich Gesellschaft brauche.
    Tja.
    Ich nehme einen tiefen Zug, halte den Rauch in der Lunge, atme aus und steige aus dem Auto.
    – Wenn ich Gesellschaft brauche, kauf ich mir einen Hund.
    Sie dreht den Zündschlüssel um und startet den Kombi.
    – Wie du meinst, Joe. Dann lass dich mal nicht aufhalten.
    Sie legt den Gang ein und fährt mit qualmendem Auspuff davon.
    Ich blicke ihr hinterher, bis ihre Rücklichter im Verkehr verschwinden.
    Sie hat mich nicht zum ersten Mal gefragt. Nicht, dass ich damit angeben will. Es ist nur so, dass eine Frau wie sie das Leben eines Mannes ganz schön verkomplizieren kann.
     
    Die South Bronx macht einem zwangsläufig das Hirn mürbe. Daher könnte man vermuten, dass ich in der letzten Zeit nicht viel nachgedacht habe. Was sicher clever von mir gewesen wäre.
    Leider fällt das Wort clever nicht sehr oft, wenn sich Leute über mich unterhalten. Und ich bin clever genug, zu wissen, warum das so
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