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Bis Zum Letzten Tropfen

Bis Zum Letzten Tropfen

Titel: Bis Zum Letzten Tropfen
Autoren: Charlie Huston
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bin.
    Was aber nicht passieren wird. Niemals.
    Es sei denn, ich kriege irgendwann Lust darauf, an plötzlich aus meinen Augen wuchernden Krebsgeschwüren zu krepieren.
    Wenn ich also ein bisschen Luft schnappen will, muss das im Schutz der Dunkelheit geschehen. Aber genau das ist das Problem – sobald die Sonne untergeht, lässt sich kein Scheißweißer mehr in der Gegend blicken. Und ich habe kein Interesse daran, allzu viel Aufsehen zu erregen.
     
    Was is’n das für einer?
    Hast du den schon mal gesehen?
    Wahrscheinlich ein Bulle.
    Nee, der schwirrt hier schon seit Monaten rum. Hat noch keinen festgenommen.
    Wird ja wohl kaum hier wohnen.
    Keine Ahnung, vielleicht doch.
    Wo denn? Welche Straße? Welches Haus?
     
    Man muss nur in einer heißen Sommernacht die Straße runtergehen: Die alten Knacker haben den Kartentisch und die Lieblingsgartenstühle ihrer Frauen auf den Gehsteig gestellt und spielen Domino; die Jungspunde stehen vor einem geleasten Cadillac, dessen Bassboxen ihre Baggy Pants erzittern lassen, und schicken eine SMS an ihre Späher, die auf den Feuerleitern auf der anderen Straßenseite Ausschau halten; durch die geöffneten Fenster hört man die Mütter, Großmütter und schwangeren jungen Frauen lachen; sie trinken Sangria aus billigem Rotwein und 7Up; doch sobald mich einer von ihnen bemerkt, ist die Party vorbei. Man hört nichts mehr außer meinen Stiefeln auf dem Asphalt, ihre Blicke folgen mir, bis ich am Ende der Straße um die Ecke biege, und dann sehen sich alle an.
    Wer ist denn das beschissene Weißbrot?
    Und vermutlich würde diese Frage manchen Leuten keine Ruhe lassen. Leuten, die es genauer wissen wollen. Früher oder später würde mich jemand anquatschen. Und das nimmt dann ein böses Ende.
    Aber das wäre noch nicht mal das größte Scheißproblem.
    Das eigentliche Scheißproblem bestände darin, dass besagte Frage die Runde macht, dass die Gerüchteküche zu brodeln beginnt. Die Leute erzählen sich Geschichten, und diese Geschichten breiten sich aus.
    Auch wenn ich selbst den Fluss nicht überqueren kann, diese Leute können es. Und wenn sie es tun, bringen sie ihre Fragen und Gerüchte und Geschichten mit nach drüben. Sobald dieser ganze Scheiß die Insel erreicht, kann niemand vorhersehen, was dort damit passiert. Kann sein, die Geschichte kommt dem Falschen zu Ohren. Jemandem, der sich entschließt, der Sache auf den Grund zu gehen, der hier aufkreuzt, herumschnüffelt und mich erkennt. Wenn mich jemand von der Insel hier aufspürt, ist das Spiel aus. Dann bin ich ein toter Mann.
    Tja, diese Gefahr besteht. Aber ich werde mich wohl später darum kümmern müssen. Im Moment hab ich Wichtigeres zu tun.
    Ich habe Termine. Muss Leute treffen.
    Und Leute umbringen.
    Ehrgeiz und ein klares Ziel vor Augen – das hält einen auf Trab.
    Wie dem auch sei, in dieser eher feindlich gesinnten Nachbarschaft stellt ein Baseballspiel die einzige Möglichkeit dar, mich unters Volk zu mischen. Mal wieder rauszukommen. Inkognito. Um die Luft der Freiheit zu schnuppern, wenn man es so ausdrücken will. Aber ich will jetzt nicht ironisch werden.
    Und da ich schon mal unterwegs bin, um mir die Beine zu vertreten, kann ich mich ebenso gut gleich umsehen, selbst ein bisschen herumschnüffeln. Vielleicht wittere ich ja was, das mir nicht gefällt. Dann kann ich feststellen, wer der Stinker ist, und vielleicht finde ich ja sogar inmitten der Menge einen Augenblick der Ruhe und Vertraulichkeit, um ihm meine Bedenken vorzutragen.
    Und prompt ergibt sich an diesem Abend so eine Gelegenheit.
    Während des letzten Innings hocke ich vor einem Plastikbecher mit Bier bei Billy’s, zähle im Kopf das Kleingeld in meinen Taschen zusammen und überlege, ob es noch für einen richtigen Drink reicht, bevor ich mich auf den Heimweg mache. Plötzlich weht von der Straße ein bestimmter Geruch rein. Ich knalle den Becher auf den Tisch, beobachte, wie der Schaum aufsteigt und sich wieder legt, kippe den letzten lauwarmen Schluck und trete hinaus auf die Straße. Die ersten Zuschauer verlassen nach einer ziemlich eindeutigen Niederlage bedrückt das Stadion.
    Man macht sich keine Vorstellung davon, wie sehr ein paar tausend Baseballfans an einem schwülen Abend nach einer schweren Niederlage stinken. Durchgeschwitzte Pullover, uringetränkte Turnschuhe, Nacho-Käse-Spritzer, eine Wolke aus Erdnussatem und Hot-Dog-Fürzen.
    Unangenehm.
    Trotzdem, ich kann es wittern.
    Ein Gestank wie nach verdünnter Säure beißt
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