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Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Titel: Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte
Autoren: Die Toten Hosen
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Jazz-rock-Band. Wir peilten irgendwas zwischen Al di Meola und Genesis an, waren aber Sternzeitalter von dieser Ebene entfernt. Schon der Schlagzeuger war eine Katastrophe; bald ging ich eine Stunde vor den Proben in den Keller und setzte mich hinter High-Hat, Snare-Drum und Toms. Das war das Instrument, das ich spielen wollte, aber nicht für diese Band und nicht auf diese Weise.
    Ich kriegte also mein erstes Schlagzeug zusammen und stellte es im Keller unserer damaligen Wohnung in der Augsburger auf. Mit einem Freund zusammen hämmerte ich in der Nacht darauf herum, daß es nur so durch das Haus dröhnte. Wir nagelten Matratzen an die Wände, bauten sogar eine neue Tür ein. Der Keller lag aber genau unter einem Juweliergeschäft, und als wir mit Hammer und Meißel loslegten, um Platz für die Türzarge zu schaffen, standen zwanzig Minuten später zehn Bullen vor uns. Die hatten wohl alle »Rififi« gesehen und solche Filme, wo sich die Gangster von unten durch die Decke buddeln. Es brauchte aber nicht viel Zeit, ihnen diese Idee auszutreiben.
    Über Beate lernte ich dann John Frege kennen und erlebte mit ihm in London mein erstes Punk-Konzert. Im »Lyceum« spielten Squeeze, 999, die Radio Stars und die Vibrators. Ich hatte so etwas noch nie erlebt: Erst reihten sich alle in eine Warteschlange ein, die drei Häuserblocks weiter endete, dann wartete alles gelassen darauf, daß es losging - und beim ersten Akkord verwandelten sich diese Kids in ein Meer aus wild pogenden Leibern. Ich hatte anfangs ein Gefühl von Panik. Aber was von da oben auf der Bühne an Musik runterkam, war etwas, das ich auch immer machen wollte. So einfach wie möglich spielen, aus der Eingebung heraus, bloß nicht perfekt! Ich ließ mir die Haare abschneiden, sobald ich wieder in Berlin war. Aber für meinen Eintritt in diese Musik brauchte es noch einen zweiten, viel jüngeren Frege.
    Eines Tages kreuzten Campi und Kuddel bei mir auf und fragten mich, was ich nachmittags um vier machen würde; sie hätten da einen Termin im »Vielklang«-Studio, für einen Punkrock-Sampler. Die Idee war, etwa zwanzig Sauflieder zu covern oder neu zu erfinden, Arbeitsmotto »Vollrausch in Stereo«. Alles weitere, wer mit wem spielt und wie, sollte sich ergeben - so war das mit diesen Jungs. Die Ärzte, die Suur-biers, Deutsche Trinkerjugend: So ziemlich alles, was man später »Fun-Punk« nennen sollte, war mit uns - den »Tango-Brüdern«, wie wir das Projekt tauften - auf dem Sampler vertreten. Doch auf der Dampferparty, die die Veröffentlichung einklingeln sollte, fehlten Kuddel und Campi. So trommelte ich an diesem Abend nicht bei den Tango-Brüdern, sondern aushilfsweise bei den Suurbiers, deren Schlagzeuger von den Ärzten gebraucht wurde - und wurde dann erstmal ihr Drummer, nicht der der Hosen.
    Ich hatte kein Problem damit, einige Lebensjahre Vorsprung vor den anderen in diesen Bands zu haben. Wenn die anderen hochgehen vor Wut oder Triumph, muß einer auf dem Teppich bleiben. In vielen Bands sind die Drummer die Ältesten, die mit den besten Nerven. Wenn einer wissen wollte, wie die Hippie-Zeit wirklich war, konnte er mich fragen. Umgekehrt konnte ich bei ihnen lernen, was man ignorieren durfte, um in der Musik Sprünge nach vorne zu tun. Der Tag, wo du anfängst, die Luken dicht zu machen, ist der Tag, wo du abzusinken beginnst. Du wirst ein U-Boot, ein »Sorrow Submarine«, und gründeist in den Untiefen einer vermeintlich besseren Vergangenheit.
    Überall in Deutschland sitzen Typen mit eingezogenen Schultern an einem Tresen, die dir erzählen, ihr Abitur-Jahrgang wäre der letzte gewesen, der noch was losgemacht hätte (»Wir haben noch Papierkörbe angezündet, aber heute die?«); die sagen, alle Tonträger nach dem Ende der Pretty Things/Doors/Pistols/Nirvana seien nur noch volksverdummender Schrott. Und während sie da sitzen und jammern, ziehen die wundervollsten Dinge an ihnen vorbei - die Love-Parade in Berlin zum Beispiel oder die neue CD von Compulsion, eine der jungen Bands, mit denen wir in diesem Jahr unterwegs sein werden.
    Es gibt immer wieder Anlaß zu Hoffnung, solange es neue gute Bands und neue Stile gibt. Es fehlt nur manchmal an den Leuten, die der Industrie rechtzeitig auf die Finger klopfen, wenn die den Dingen ihre eiligen Etiketten aufklebt. Ich brauche keinen »Brit-Pop« und keinen »Neo-Punk«, und ich muß nicht jedes Mal informiert werden, wenn ein neunzehnjähriger College-Typ aus Kalifornien irgendwo ein
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