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Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Titel: Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte
Autoren: Die Toten Hosen
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Wände zum Besten zu geben. Es war Ausdruck eines ersten, inneren Boykotts, daß ich von den beiden keine Funken auf mich überschlagen ließ; doch der blieb mir genauso unbewußt wie der zweite, der sich auf die Einberufung zur Bundeswehr beziehen sollte. Und das wurde meine zweite Geburt.
    Ich hatte keine Auswege ersonnen, als mich Erfassung und Musterung erreichten; Militär lief zu Hause unter Staatsbürgerpflicht. Aber dann kam eines Morgens um zehn das Einschreiben, ich sollte mich dann und dann in der Hinden-burg-Kaserne in Neumünster bei der Flugabwehr einfmden. Glücklicherweise hatte die Mutter den Erhalt abgezeichnet. Da wußte ich sofort: Das geht nicht, das machst du einfach nicht. Eine Stunde später saß ich im Zug nach Hamburg und stieg dort um nach Berlin, das für viele damals wegen seines Vier-Mächte-Status eine Insel für Pazifisten und Totalverweigerer war: Wer in Berlin seinen ersten Wohnsitz hatte, konnte nicht »gezogen« werden.
    Ich war achtzehn, ziemlich schüchtern und nicht mehr ganz naiv. Ich hatte das Elektro-Handwerk bei einem Freund meines Vaters gelernt, dem obersten Lehrlingswart von Schleswig-Holstein. Wie die anderen Leitungen liefen, hatte mir die frühere Frau eines Fischkonservenfabrikanten schon gezeigt, die ich mit 17 beim Urlaub in Dänemark traf. Ich blieb ein halbes Jahr, bis ich mich nach Kiel zurückholen ließ, wollte von nun an aber meine eigenen Gedanken denken, und dafür war Berlin Ende der Sechziger genau der richtige
    Ort. Sobald ich in der Stadt war, fing mein persönliches Leben an.
    Meine Stelle bei der AEG tauschte ich bald gegen kleine Gelegenheitsjobs, die mich locker über Wasser hielten, von wegen Zimmer streichen für vierhundert Mark. Aus dem Arbeiterwohnheim zog ich in die erste WG, anderthalb Zimmer auf der Förster Straße in Kreuzberg, geteilt durch vier. Die erste Hausbesetzung in Berlin, im ehemaligen Bethanien-Krankenhaus (»Georg-von-Rauch-Haus«), die Demos gegen die Alliierten-Paraden und den Schah-Besuch, komplett mit den ersten Gummiknüppel-Beulen, kleine Auftritte unter dem Motto »Gewalt gegen Sachen«, wie man den Widerstand damals genau abgrenzte - überall in der Stadt war dieser Aufbruch gegen das Etablierte zu spüren, und überall war ich dabei. Ein Mitläufer, aber immer in den vordersten Reihen.
    Über uns in der Förster wohnten Rio Reiser und Freunde. Als die erste Platte von Ton Steine Scherben erschien, »Keine Macht für Niemand«,ging ich rauf in die dritte und half, diese Papp-Cover zusammenzuheften. Ein paar hundert Exemplare der legendären Scheibe gingen durch meine Manufaktur. Aber bis ich anfing, selber Musik zu machen, war ich schon Mitte zwanzig. Ich kaufte mir eine Gitarre und schram-melte zusammen mit mehreren Freunden. Schon damals zeigte sich, daß meine Stärke eher das Rhythmusgefühl war, also stieg ich auf Percussion-Instrumente um. Bongos, Tim-bales, der ganze Klötenklapperkram. Und plötzlich waren wir zu viert, da ging es los mit mehrstimmigem Gesang ä la Crosby, Stills, Nash & Young. Und dann hatten wir einen Namen, der mit Runen-Mythologie zu tun hatte, »Barrita« oder so, aus den Runen »Bar« und »Rit«.
    Sobald du aber einen Namen hast, bist du auch eine Band. Und wenn du eine Band bist, mußt du irgendwo auftreten.
    Nicht lange und nicht im großen Stil, aber irgendwo, in Kneipen und Restaurants. Und damit fing mein drittes Leben an.
    Wir hatten keine Lust auf das übliche Schema, als wir Anfang Mai '93 über neue Hosen-Konzerte nachdachten. »Kauf mich!« war gerade veröffentlicht; wir wollten unbedingt spielen, aber nicht wie zuletzt. Wenn die Westfalenhalle zur Gewohnheit wird, wird vielleicht auch die Musik, die du da machst, gewöhnlich. Also schlüpften wir abwechselnd in drei verschiedene Größen, um uns selbst zu unterhalten: »S«, »M« und »XXL«.
    Wir hatten genug interessante Einladungen für Magical-Mystery-Gigs (s), hatten einige Termine in mittelgroßen Clubs abgemacht (M), und wir hatten zugesagt, bei den sechs Konzerten von U2 in deutschen Stadien (XL) den Opener zu machen. Oft wechselten wir in vier, fünf Tagen zwischen

    Olympiahalle, München: Andi und Breiti (XL)
    drei Ebenen, wie junge Seehunde im Zoo-Becken, die Spieldrang haben, und frischten eine alte Lektion auf: Es kann ganz einfach sein, vor sechzigtausend Leuten (und für
    ioo.ooo Mark) zu spielen, und ganz anstrengend, aber auch hochinteressant, sich vor hundertfünfzig Nasen (und ohne Gage) zu
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