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Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Titel: Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte
Autoren: Die Toten Hosen
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hat eine griffige Melodie auf der Klampfe, Kuddel baut schnell die Akkorde dazu, die übrigen steigen darauf ein - so einfach und so schnell entstand »Willkommen in Deutschland«. Bei anderen Stücken wurde die ursprüngliche Idee verworfen, wiederentdeckt und beinahe bis zur Unkenntlichkeit recycelt. Ein alter Grundbeat von mir, plötzlich mit einem ungewöhnlichen Groove gespielt, Andi steigt darauf ein, die anderen folgen, man bastelt, frickelt, feilt, aber erst Monate später, im neuen Proberaum, findet sich das Zwischenstück - und irgendwann ist ein Stück wie »Mensch« geboren und klingt komischerweise wie aus einem Guß.
    Dinge entstehen lassen, zusammen mit anderen. Ich hatte nicht gerade das beste Lebensgefühl, als wir mit den Aufnahmen zu »Kauf mich!« begannen. Anja und ich, wir kriegten es seit einiger Zeit zusammen immer weniger hin und waren dabei, uns zu trennen. Es brach nicht in einem kurzen, schrecklichen Augenblick auseinander, natürlich nicht, sondern es zog sich wie Pizzakäse - und dazwischen stand der kleine Alex. Die Sessions mit den Jungs waren das einzige, was mir in der Zeit Spaß machte, sie wurden die eigendiche Kontinuität. Wenigstens im Proberaum und im Studio kriegte ich etwas Gescheites hin.
    Wir hatten knapp drei Monate Zeit, die neuen Stücke im Tonstudio Dierks bei Köln einzuspielen. Wie immer blieben wir von der Plattenfirma unabhängig, indem wir die Produktionskosten selbst bezahlten. Es gab kein Gedrängel, keine Einmischung; der großen Jungfrau traten wir immer erst gegenüber, wenn wir das Masterband ablieferten. Damit hatte die Virgin-Mannschaft auch wenig Probleme, denn das Risiko eines völligen Flops ist ab einem bestimmten Bekanntheitsgrad recht gering. Wer 200.000 Vorbestellungen erhält, so wie wir damals für »Kauf mich!«, bekommt das Urteil der Fans in der Regel erst beim übernächsten Wurf zu spüren. Dann allerdings kann die Rache doppelt grausam sein, egal ob der Wurf danach gut ist oder nicht.
    Es war aber ziemlich cool, auf diesem hohen Level zu operieren. Wir konnten machen, was wir wollen, wo und mit wem immer. Wir nahmen hundertfünfzig Riesen für das Video zu »Wünsch Dir Was«, der Single-Auskopplung, und flogen zu Regisseur Hans Nelemann nach New York. Hans hatte sich mit seiner Portrait- und Stillife-Photographie in den Staaten bereits einen Namen gemacht. Er war ein Gelegenheitsgast auf dem Videosektor und noch neugierig, nicht in Routine erstarrt. Beim Dreh für die internationale Version von »Alex« in Los Angeles hatten wir erlebt, wie Fließband-Filmer vorgehen. Regisseur Markus Nispel, der von George Michael bis Janet Jackson die ganze erste US-Liga bediente, hatte einfach noch mal dieselbe Highway-Kulisse genommen, die er bereits für ein Video von Jimmy Sommerville verwandt hatte. Das führte zu einigen echten Dejä-vus: Genau an der Stelle, wo »Alex« in einem schräg einfallenden Lichtkegel steht und nach oben blickt, hatte Sommerville in seinem Video nachdenklich auf einem Stuhl gesessen.
    Das wäre mit Hans Nelemann nicht passiert. Hans hatte immer neue Ideen; diese hier spielte in Brighton Beach, rings um den Vergnügungspark von Coney Island, und dauerte drei harte, hingebungsvolle Tage lang.
    Hans ließ uns zwanzigmal hintereinander über die alte, angerostete Achterbahn im Vergnügungspark brettern, bis unsere Eingeweide schon unaufgefordert rotierten. Sein Kameramann watete hodentief durch den aprilkalten Hudson, um uns von dort aus in der einzig richtigen Einstellung mit der Mole und den aufgeschütteten Steinen im Sucher zu haben. Und als das noch nicht reichte, stieg er bis zu den Schultern hinein - zwei Helfer immer hinter ihm, die das Kabel über dem Wasser hielten. Nirgendwo sonst auf dem Globus war uns bisher eine ähnliche Professionalität begegnet, nirgendwo sonst hatte sich ein fremdes Team so für uns eingesetzt. Was richtig und wichtig war fürs Endergebnis, wurde ohne Schonung von Mensch und Material durchgezogen.
    Wir waren alle noch halb erfroren und taumelten regelrecht, als Hans uns am letzten Abend in dieses hippe Restaurant im East Village einlud. Das »Cafe Tabac« - Hans hatte oben auf der Promi-Etage einen großen Tisch für uns reserviert, und da saßen wir nun im Blickfeld von Robert de Niro, Jim Jarmusch, Johnny Depp und einer Handvoll Models, angeführt von Stephanie Seymour, die alle nicht richtig schlau aus unserer Bedeutung an diesem Ort wurden. Bis dann Hans mit seinem Dessertlöffel an ein
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