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Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Titel: Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte
Autoren: Die Toten Hosen
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einfach da weitermachen, wo wir aufgehört hatten. Wir hätten sie die »Kneif mich!»-Tour taufen sollen, denn es lief wirklich so perfekt, daß man an eine bösartige Täuschung glauben konnte.
    Es war aber kein besonderes, irgendwie triumphales Gefühl damit verbunden. Wir registrierten das zufrieden und grinsten uns gelegentlich an. So wie wir uns früher nicht so klein gefühlt hatten wie andere uns sahen, fühlten wir uns jetzt auch nicht so überlebensgroß. Wir waren ’s noch, mehr oder weniger, und wenn es eine Distanz zwischen uns und den anderen gab, war es nicht unsere Projektion. Halb verwundert, halb verärgert bemerkten wir, wie sich verschiedene örtliche Security-Typen (nicht unsere Crew!) plötzlich ins Zeug legten, um uns vor dem »gemeinen Volk« abzuschirmen. Die wenigen Leute, die noch zu uns durchkamen, verhielten sich inzwischen oft befangener, nicht mehr so spontan. Dann gab es Leute in der Crew, die es anfangs gar nicht wagten, uns anzusprechen, weil ihre Erfahrungen bei Produktionen solchen Kalibers ihnen das offensichtlich nahelegten. Diesen Leuten mußten wir erstmal Signale geben.
    Wir tummelten uns mittlerweile ohne Zweifel auf einer Etage, wo bestimmte Dinge, die wir gar nicht wollten, verinnerlicht waren. Mein Schlagzeug-Roadie Jürgen erzählte mir mal von seinen Erlebnissen bei einer Westernhagen-Tour. Da gab es sauber getippte und sorgfältig fotokopierte Listen, die genau festhielten, wer von der Crew überhaupt das Wort an den großen Meister richten durfte. Ich wäre aufgeschmissen, würde ich nicht mit Jürgen kommunizieren.Jedes Mal, wenn Campi mir in die Drums springt und mit seinem Kopf die Becken bearbeitet, ist es Jürgen, der in Zehntelsekunden unter die Trommeln krabbelt und alle Teile wieder so ausrichtet, wie meine Arme und Beine es brauchen. Der Kerl ist nicht nur selbst Drummer in einer Herner Hardrock-Band, er wohnt in meinen Beinen. Genauso macht unser verrückter England-Import Rory seinen Job für die Gitarristen.
    Alles war so unheimlich groß und wichtig geworden, zum Todachen! Wir mußten uns selbst etwas einfallen lassen, um den Bierernst der Lage zu torpedieren. In dieser Zeit praktizierte Kiki mit den örtlichen Veranstaltern zum Beispiel den »Passus 13«. Diese Vereinbarung, unter »13.: Sonstiges« in allen Konzertverträgen der KKT enthalten, schrieb zwingend vor, daß alle Vertragspartner verpflichtet seien, »am Abend der Veranstaltung, während der Abrechnung, eine »Groucho-Marx-Brille« zu tragen«. Kikis so entstandene Polaroid-Serie mit Deutschlands größten Veranstaltern ist eine unglaubliche Kollektion, die ausgestellt gehört.

    Abrechnung in der Festhalle: Veranstalter Ralf mit Kiki
    Wir reisten aber nicht wie fahrende Komödianten. Wir hatten längst unsere Einzelzimmer in guten Hotels, schon um einen Rest von persönlichem Raum unterwegs zu retten. Wie ich Kuddels Dauertelefonate gehaßt habe, und wie Breiti den Qualm meiner Zigaretten! Es gab einen Bus für die Crew, und einen für die Band und ihren »Inner Circle«. Und dort löste ich Victor, den Fahrer, am Steuer und am Mikrofon ab, als wir am dritten Tag der Tour die Tore Kiels erreichten.
    Zielsicher und etwas melancholisch lenkte ich den Bus entlang der Schauplätze meiner frühen Biographie. Hier der Park, die »Moorteichwiese«, wo mein Sexleben auf einer Bank Premiere feierte; dort der Knooper Weg, wo ich in die Lehre ging. Es wurde ein kurzer, sentimentaler Ausflug »Back down memory lane«, aber keine Loser-Story. Der halbgare Stift, der hier Drafi Deutscher, die Kinks, die Lords und die Liverbirds bei seinem ersten Konzert erlebt hatte - und die Kunst, eine komplette Saalbestuhlung zu atomisieren -, dieser Stift kehrte nun als Schlagzeuger der berühmten Band in die gleiche Halle zurück. Und seine Mutter, seine Schwester und sein Neffe, die halbe Familie stand im Ehrengast-Bereich. Es war, wie gesagt, die große »Kneif-mich!«-Tour.
    Jeder von uns hatte früher oder später diese Momente, wo die Mamas und Papas plötzlich in der Halle stehen. So sehr sich die Family früher gesträubt haben mag, gegen den unsicheren, irgendwie verdächtigen Weg, den ihre Pflänzchen da einschlugen, so sehr wurden sie jetzt durch den allgemein abgesegneten Erfolg milde gestimmt. Diese Söhne mochten versoffen und verhurt sein, aber sie waren landesweit bekannt und standen auf goldenen, sockeldicken Füßen. Nur Breitis Mutter war durch Ruhm und Renditen absolut nicht zu korrumpieren. Bis
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